Neue leistungsfähige Methode identifiziert verwandte Paare
Ein internationales Forschungsteam hat eine neue Bioinformatik-Methode entwickelt, die die Schätzung genetischer Verwandtschaft in Tierpopulationen verbessert. Diese Methode analysiert Sequenzdaten des gesamten Genoms und liefert präzise Ergebnisse, selbst wenn die Daten von geringer Qualität sind. "Unser Tool öffnet Disziplinen wie der Ökologie und der Evolutionsforschung die Tür zu einem weit genauerem Verständnis genetischer Verwandtschaftsbeziehungen. Es identifiziert identische DNA-Fragmente, die Paare teilen und die von einem gemeinsamen Vorfahren stammen. Diese so genannten Identity by Descent- oder IBD-Segmente sind ein extrem genaues Signal, um biologische Verwandtschaften zu erkennen und zu quantifizieren. Bisher waren solche Methoden nur für qualitativ hochwertige Humangenome verfügbar; jetzt können wir sie auch auf Tiergenome anwenden", sagt einer der leitenden Autoren der Studie, Harald Ringbauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.Abweichungen von der tatsächlichen Verwandtschaft in einer Makakenpopulation
Das Forschungsteam testete die neue Methode zur Schätzung genetischer Verwandtschaft an einer Population freilebender Rhesusaffen auf Cayo Santiago, Puerto Rico, und erzielte dabei deutlich genauere Ergebnisse als mit herkömmlichen Methoden. Während traditionelle Ansätze Verwandtschaftsbeziehungen in diskreten Kategorien bewerten, kann die neue Methode den kontinuierlichen Charakter von Verwandtschaft präzise darstellen. Zudem entdeckte das Team mehr gemeinsame genetische Abstammung als erwartet, was auf unentdeckte Verwandte innerhalb der Population hinweist."Die Anwendung unserer IBD-Methode auf eine freilebende Primatenpopulation zeigt, dass sie detailliertere Verwandtschaftsinformationen liefert als traditionelle Stammbäume oder bisherige genetische Schätzungen", sagt Erstautorin Annika Freudiger von der Universität Leipzig und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Die Forschenden fanden auch Abweichungen zwischen tatsächlicher genetischer Abstammung und den Vorhersagen der Stammbäume, was darauf hindeutet, dass die gemeinsame Abstammung oft unterschätzt wurde. Außerdem wurden signifikante Unterschiede in der genetischen Rekombinationsrate zwischen den Geschlechtern festgestellt, was Hinweise auf das Geschlecht unbekannter Vorfahren und die Verwandtschaftslinien geben könnte.
Cayo Santiago: Datenerhebung seit 1956
Die Studie wurde auf Cayo Santiago, einer kleinen Insel vor Puerto Rico, durchgeführt, die vom Caribbean Primate Research Center verwaltet wird. Dank der seit 1956 kontinuierlich gesammelten demografischen und genetischen Daten konnten die Forschenden die neue Methode an einer freilebenden Population testen, für die umfassende Stammbäume vorliegen. Dies führte zu neuen Erkenntnissen über diese Population. Trotz ihrer genetischen Isolation ist der Inzuchtgrad überraschend niedrig, was möglicherweise auf geschlechtsspezifische Abwanderung und/oder effektive Verwandtenerkennung zurückzuführen ist."Mit diesem innovativen Werkzeug können wir die kontinuierliche Verteilung von Verwandtschaftsbeziehungen in Tierpopulationen genau messen, selbst wenn die Sequenzierungsdaten von relativ geringer Qualität sind. Dies könnte dazu beitragen, ökologische und evolutionäre Muster bei sozialen Tieren besser zu verstehen", sagt die leitende Autorin Anja Widdig von der Universität Leipzig und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Die Studie verdeutlicht das Potenzial neuer, fortschrittlicher Methoden zur Verbesserung des Verständnisses biologischer Verwandtschaften von Arten und Populationen. Dies könnte zu neuen Erkenntnissen über Familienstrukturen und Verhaltenspräferenzen führen, die bislang weitgehend unklar waren.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpg.de/23990710/0114-evan-unbekannte-verwandte-aufspueren-150495-x
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (01/2025)
Publikation:
Annika Freudiger, Vladimir M. Jovanovic, Yilei Huang, Noah Snyder-Macklerg, Donald F. Conrad, Brian Miller, Michael J. Montague, Hendrikje Westphal, Peter F. Stadler, Stefanie Bley, Julie E. Horvath, Lauren J. N. Brent, Michael L. Platt, Angelina Ruiz-Lambides, Jenny Tung, Katja Nowick, Harald Ringbauere, Anja Widdig
Estimating realized relatedness in free-ranging macaques by inferring identity-by-descent segments
PNAS, 15 January 2025, https://doi.org/10.1073/pnas.2401106122