Für die wachsende Weltbevölkerung eine ausreichende Menge an Nahrungsmitteln zu produzieren ist eine große Herausforderung. Um den Ertrag zu steigern, müssen Landwirte das Unkraut bekämpfen, das mit den Nutzpflanzen um Sonnenlicht, Nährstoffe und Platz konkurriert. Während Hobbygärtner es sich leisten können, in ihren Gärten Unkraut zu jäten, umzustechen oder zu hacken, greifen Landwirte in der Agrarwirtschaft oft zum Einsatz von Herbiziden. Die Landwirtschaft steht jedoch bei der Herbizidresistenz vor einem ähnlichen Dilemma wie die Medizin bei der Antibiotikaresistenz: Je häufiger ein Herbizid eingesetzt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unkraut dagegen resistent wird – und dann seine anfälligen Geschwister verdrängen kann.
Glyphosat ist ein solches weitverbreitetes und heftig diskutiertes Herbizid. Der übermäßige Einsatz hat in jüngster Zeit zum Auftreten von Glyphosat-resistentem Unkraut geführt, das in Teilen Europas, Nordamerikas und Australiens die Ernteerträge verringert. Anekdoten deuten jedoch darauf hin, dass Bryophyten, eine Gruppe nicht-vaskulärer Pflanzen, tolerant gegenüber Glyphosat sind. Diese Toleranz wurde bis jetzt aber nicht experimentell bestätigt, und der ihr zugrunde liegende Mechanismus war völlig unbekannt.
Natürliche Glyphosat-Toleranz nachgewiesen
Nun haben Sam Caygill und Liam Dolan am GMI experimentell gezeigt, dass Bryophyten, eine Gruppe wenig erforschter Pflanzen, zu denen Lebermoose, Hornmoose und Moose gehören, Glyphosat tatsächlich tolerieren: Sie wachsen selbst dann, wenn sie dem Herbizid ausgesetzt sind. Glyphosat tötet die meisten vaskulären Pflanzen, indem es ein Enzym namens EPSP-Synthase hemmt, in weiterer Folge blockiert das die Aminosäuresynthese und die Proteinproduktion. Caygill, Doktorand an der Universität Oxford und Forscher am GMI, stellte folgende These auf: Bryophyten könnten Glyphosat tolerieren, wenn sie die EPSP-Synthase umgehen. Falls in Bryophyten eine Alternative zu EPSP-Synthase für die Bildung von Aminosäuren existiert, könnten Bryophyten weiterhin Proteine produzieren und weiterwachsen, auch wenn sie Glyphosat ausgesetzt sind und die EPSP-Synthase gehemmt ist.Caygill kombinierte vorhandene Informationen aus DNA-Datenbanken mit einer auf KI-basierenden Simulation der Proteinstruktur und identifizierte damit MurA als ein Enzym, das der EPSP-Synthase strukturell und funktionell sehr ähnlich ist. Während MurA-Gene in allen Bryophyten vorhanden sind und alle getesteten Bryophyten Glyphosat-tolerant waren, kommt MurA in den Glyphosphat-empfindlichen Blütenpflanzen nicht vor.
Die Forscher:Innen testeten dann experimentell, ob MurA eine Toleranz gegenüber Glyphosat auslösen kann. Eine Überexpression von MurA im Bryophyten Marchantia polymorpha führte dazu, dass die Pflanzen toleranter gegenüber Glyphosat waren als Kontrollpflanzen mit unveränderter MurA-Expression. Umgekehrt waren M. polymorpha Pflanzen die gentechnisch so verändert worden waren, dass sie eine nicht funktionsfähige Version von MurA exprimierten, weniger tolerant gegenüber Glyphosat als die Kontrollpflanzen.
Falls MurA für die Glyphosat-Toleranz also tatsächlich notwendig ist, fragten sich die Forscher:innen, könnte dann die Expression von MurA in Glyphosat-empfindlichen Pflanzen für Resistenz sorgen? Tatsächlich konnten die Forscher:Innen zeigen, dass durch den Einbau von MurA in die Gefäßpflanze Arabidopsis thaliana, die normalerweise kein MurA bildet, die Pflanze glyphosatresistent wird.
Neue Einsichten in die Biosynthese von Aminosäuren
Nachdem das Team gezeigt hatte, dass MurA für die Glyphosat-Toleranz von Bryophyten verantwortlich ist, arbeitete es mit Thomas Köcher von der VBCF Metabolomics Facility zusammen, um zu verstehen, warum MurA eine Glyphosat-Toleranz hervorruft. Die Forscher:innen nutzten hochempfindliche Massenspektrometrie, um zu untersuchen, ob MurA dieselbe Substanz, EPSP, produziert, die von der EPSP-Synthase gebildet wird. Sie konnten so nachweisen, dass sowohl MurA als auch die EPSP-Synthase die Bildung von EPSP katalysieren. Aus diesem Grund kann MurA die Aminosäureproduktion und Proteinsynthese in Bryophyten aufrechterhalten, auch wenn Glyphosat die EPSP-Synthase hemmt. Diese Entdeckung war unerwartet, da man bisher annahm, dass nur die EPSP-Synthase EPSP produziert.„Es ist eine Sache, einen in der Natur vorkommenden Mechanismus zu beschreiben, der die Resistenz einiger Pflanzen gegenüber Glyphosat erklärt. Eine andere ist es, einen bisher unbekannten Vorgang in der Biosynthese von Aminosäuren zu entdecken“, sagt Liam Dolan, Senior Group Leader und stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am GMI. Die unerwartete Entdeckung beweist, dass traditionell wenig untersuchte Organismen wie Lebermoose den Schlüssel zum Verständnis grundlegender Fragen der Biologie liefern können. „Die Entdeckung von Sam Caygill und Thomas Köcher zeigt, wie wichtig es ist, eine Vielfalt von Organismen in unsere Forschungsprogramme einzubeziehen. Die natürliche Selektion hat in der Natur eine große Vielfalt hervorgebracht. Wir sollten unseren Horizont nicht einschränken und dürfen diese Vielfalt nicht vernachlässigen.“ Darüber hinaus könnte diese Entdeckung zu neuen Strategien zur Bekämpfung von Herbizidresistenzen bei Unkräutern führen.
Den ganzen Artikel finden Sie unter:
https://www.oeaw.ac.at/gmi/detail/news/natural-tolerance-to-weed-killer-uncovered-in-little-studied-plant-group
Quelle: Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) (11/2024)
Publikation:
Samuel Caygill, Thomas Köcher, Liam Dolan. MurA-catalyzed synthesis of 5-enolpyruvylshikimate-3-phosphate confers glyphosate tolerance in bryophytes. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2412997121