Forscherinnen des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) analysierten erstmals eine Langzeitprobenserie zur Mikroplastikverschmutzung im Nordost-Atlantik aus 2000 m Wassertiefe hinsichtlich Anzahl, Größe, Masse, Material und möglicher Herkunft der Partikel. Die Proben wurden zwischen 2003 – 2015 mit einer Sinkstofffalle im Madeira-Becken gesammelt. Art und Menge der Plastikpartikel variierten stark, machten aber bis zu 8 % des gesamten Partikelniederschlags aus. Häufigste Plastikarten waren Polyethylen und PVC. Die Ergebnisse liefern Einblicke in die zeitliche Variabilität von absinkendem Mikroplastik und damit einen ersten Ansatz, um dessen Verbleib im Ozean zu verstehen.
Kaum eine vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung – sowohl
an Land als auch im Wasser – ist so verbreitet wie Mikroplastik. Und
obwohl es für fast jedes Ökosystem, und sei es noch so abgelegen, wie
etwa die Arktis oder Tiefseesedimente, Nachweise für Mikroplastik gibt,
existieren grade für die Ozeane große Wissenslücken hinsichtlich
Herkunft, Verbleib und zeitlicher Variabilität. „Dabei ist Mikroplastik
in vielerlei Hinsicht gefährlich für die Meeresumwelt“, sagt Janika
Reineccius vom IOW, Erstautorin der kürzlich veröffentlichen Studie zur
Langzeitbeobachtung von Mikroplastikverschmutzung in tiefen
Wasserschichten des offenen Nordost-Atlantik. „Mikroplastik kann
bestimmte Giftstoffe adsorbieren und auf diese Weise über weite Strecken
transportieren, sowohl horizontal als auch vertikal. Die
verschiedensten Lebewesen fressen solche ‚vergifteten‘ Partikel, die
obendrein noch die Aufnahme von verwertbarer Nahrung deutlich
einschränken können“, so die Forscherin.
„Außerdem ist
Mikroplastik nicht gleich Mikroplastik“, ergänzt Co-Autorin Joanna
Waniek. „Um besser zu verstehen, wie schnell und wieviel Mikroplastik
durch die Wassersäule in die Tiefe gelangt, muss man neben der Größe
auch untersuchen, aus welchem Material die Partikel bestehen. Denn die
enorme Bandbreite verschiedener chemischer und physikalischer
Eigenschaften beeinflusst sowohl das Sinkverhalten als auch die
Beständigkeit der Partikel. Dies wiederum ist entscheidend für ihre
Verweildauer in der Wassersäule und somit auch ihre Verfügbarkeit für
die betroffene Fauna“, erläutert die IOW-Wissenschaftlerin. Sie betreut
seit gut 20 Jahren federführend das mitten im Nordost-Atlantik auf
halber Strecke zwischen den Azoren und der Insel Madeira verankerte
Azoren-Observatorium „Kiel 276“. Neben zahlreichen Messinstrumenten an
der insgesamt 5,2 km langen Verankerungsleine, die unterschiedlichste
chemische und physikalische ozeanografische Parameter in verschiedenen
Wassertiefen messen, sind dort auch Sinkstofffallen befestigt, die den
Partikelniederschlag in verschiedenen Tiefen sammeln.
In der
jetzt vorliegenden Studie analysierten die beiden IOW-Forscherinnen nun
erstmals eine Zeitreihe des Sinkstofffallenmaterials aus 2000 m
Wassertiefe, welches zwischen 2003 und 2015 von „Kiel 276“ gesammelt
wurde. In allen 110 untersuchten Proben wurde Mikroplastik nachgewiesen.
Menge, Plastikarten und deren vertikale Transportraten variierten
erheblich: Zwischen 1 und gut 3000 Plastikpartikel sinken pro Tag und
pro m² in die Atlantische Tiefsee, was einer Masse von 0,0001 bis knapp 2
mg pro Tag und m² entspricht. „Hochgerechnet auf den gesamten Atlantik
kommt dies einem Eintrag von etwa 5,4 Mio. Tonnen im Jahr gleich“, so
Janika Reineccius. „Die maximale Mikroplastikmenge kann dabei bis zu 8%
des gesamten absinkenden Materials ausmachen“, ergänzt Joanna Waniek.
Die
beiden Wissenschaftlerinnen fanden vor allem sehr kleine Partikel,
überwiegend kleiner als 0,1 mm. Mittels Raman-Spektroskopie wiesen sie
folgende Plastikarten nach: Polyethylen, Polyvinylchlorid (PVC),
Polypropylen, Polystyrol, Polyethylenterephthalat (PET), Plexiglas,
Polyamid, Teflon und Mischpolymere aus Polyethylen und Polypropylen.
Zwischen den Probenahme-Jahren änderte sich die Zusammensetzung der
Polymere erheblich, immer dominierte jedoch Polyethylen (gut 70 % der
Menge aus allen Proben) und PVC (gut 20 % der Gesamtmenge) war am
zweithäufigsten vertreten; alle anderen Polymere traten nur in äußerst
geringen Menge auf.
Die Menge der Polyethylen-Partikel
korrelierte deutlich mit dem vermehrten Auftreten winziger
Gesteinspartikel. Aufgrund ihres Gehalts an speziellen Seltenen Erden
vermuten die Forscherinnen, dass die Partikel – Gesteinsstaub und
Plastik – über atmosphärischen Transport aus Nordostafrika und den
umliegenden Regionen eingetragen wurden. Für das zweithäufigste Polymer
PVC konnte kein entsprechender Zusammenhang hergestellt werden. Dafür
zeigte sich eine saisonale Abhängigkeit mit hohen Einträgen im Winter
und deutlich geringeren Mengen im Sommer. Hierfür könnten, so die
Autorinnen, verschiedene jahreszeitliche Faktoren wie die Schichtung der
Wassersäule, Winde, Strömungen oder Niederschläge verantwortlich sein.
„Um
weitere Muster und Prozesse klarer zu erkennen, muss die
Langzeitbeprobung unbedingt fortgesetzt werden und eigentlich benötigen
wir auch weitere Probennahme-Stationen“, resümieren Janika Reineccius
und Joanna Waniek. „Unsere Analyse ist die erste Studie weltweit, die
eine Zeitreihe der Mikroplastikbelastung der Meere zeigt und damit ein
ganz wichtiger erster Schritt, um die Herkunft und die Transportwege
unterschiedlichen Mikroplastiks in die Tiefen des offenen Ozeans zu
verstehen.“
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.io-warnemuende.de/mitteilung/items/mikroplastikverschmutzung-im-nordost-atlantik-erster-langzeitbefund-aus-tiefen-wasserschichten-des-offenen-ozeans.html
Quelle: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (07/2022)
Publikation:
Janika
Reineccius & Joanna J. Waniek (2022): First long-term evidence of
microplastic pollution in the deep subtropical Northeast Atlantic.
Environmental Pollution 305 (2022) 119302,
doi.org/10.1016/j.envpol.2022.119302
Mittwoch, den 06. Juli 2022 um 04:05 Uhr