LMU-Forschende entwickeln ein Verfahren, um Sequenzierungsdaten mehr Informationen zu entlocken. Das führt zu tieferen Einblicken in die Biologie. Höhere Lebewesen speichern ihr Erbgut im Zellkern als Desoxyribonukleinsäure oder DNA. Einzelne Abschnitte, die Gene, werden bei der Transkription in Ribonukleinsäuren, sogenannte mRNAs, umgewandelt. Daraus entstehen bei der Translation Proteine als wichtigste Funktionseinheiten.
Zellen können unterschiedliche Gene an- oder abschalten. Auch bei
Krankheiten finden sich charakteristische Muster der Genexpression.
Deshalb versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
mRNA-Moleküle zu sequenzieren, um ihnen weitere Informationen zu
entlocken. Nur gingen bei etablierten Technologien oft Informationen
verloren.
Ein Team um Dr. Stefan Canzar vom Genzentrum der LMU
stellt in Nature Biotechnology jetzt Ladder-seq vor: ein Verfahren, das
zu besseren Ergebnissen führt. Die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler kombinieren Änderungen im Sequenzierungsprotokoll mit
rechnergestützten Verfahren. Mit den zusätzlichen Informationen kann
Canzars Team beispielsweise die Funktion regulatorischer Einheiten bei
neuralen Stammzellen im Gehirn von Mäusen entschlüsseln.
Ein Puzzle mit zusätzlichen Informationen
„Bislang
werden bei der Sequenzierung im ersten Schritt mRNA-Moleküle
zerkleinert, was bildlich gesprochen zu Puzzleteilchen führt“, erklärt
Canzar. Diese Fragmente sequenzieren moderne Geräte dann parallel, was
Zeit spart. Mit leistungsfähigen Rechnern werden einzelne Teile der
Sequenz wieder zusammengesetzt. In den letzten zehn bis 15 Jahren wurden
etliche Methoden weiter optimiert. „Dennoch wissen wir, dass bei dem
Vorgang Informationen verlorengehen, die nicht wieder rekonstruierbar
ist“, so der LMU-Forscher.
Dr. Francisca Rojas Ringeling und
Shounak Chakraborty aus Canzars Gruppe haben das übliche Protokoll
verändert. Vor der eigentlichen Sequenzierung trennen Forschende
RNA-Moleküle anhand ihrer Länge auf. Das gelingt am einfachsten per
Elektrophorese, einer Technologie zur Separation im elektrischen Feld.
Unterschiedlich große mRNAs wandern verschieden weit. Im Gel erscheinen
sie als Leiter, daher der Name Ladder-seq. Erst dann folgen die
Fragmentierung und die Sequenzierung. Algorithmen nutzen Information zur
Größe, um einzelne Puzzleteilchen präziser als bislang möglich
zusammenzusetzen.
Anwendungsbeispiel aus der Neurobiologie
Die
LMU-Forschenden zeigen anhand eines Anwendungsbeispiels, was Ladder-seq
leisten kann. Im Experiment haben sie sich mit dem alternativen
Spleißen im sich entwicklenden Maushirn befasst. Entfernt man eine
chemische Modifikation der RNA, verändert sich die Sequenz des
RNA-Moleküls selbst. Sprich: Man beobachtet alternatives Spleißen. Aus
dem gleichen Gen entsteht eine andere mRNA – und folglich ein anderes
Protein, dem bestimmte strukturelle Bereiche fehlen. Sie erfüllen ihre
biologischen Aufgaben im Gehirn von Mäusen nicht mehr. Neurale
Stammzellen bleiben in diesem Entwicklungsstadium. Sie differenzieren
sich nicht mehr zu Nervenzellen, weil entsprechende Gene fehlreguliert
sind. Das Gehirn betroffener Nager ist stark deformiert; sie sterben
bald nach der Geburt. „Ohne die neue Methode hätten wir solche Fragen
nie so differenziert beantworten können“, erklärt Canzar.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/genomforschung-das-unsichtbare-im-erbgut-finden.html
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München (01/2022)
Publikation:
Francisca
Rojas Ringeling, Shounak Chakraborty, Caroline Vissers, Derek Reiman,
Akshay M. Patel, Ki-Heon Lee, Ari Hong, Chan-Woo Park, Tim Reska, Julien
Gagneur, Hyeshik Chang, Maria L. Spletter, Ki-Jun Yoon, Guo-li Ming,
Hongjun Song, Stefan Canzar: Partitioning RNAs by length improves
transcriptome reconstruction from short-read RNA-seq data. Nature
Biotechnology, 2021