Mensch ist nicht bereits vor Geburt mit Bakterien besiedelt |
Wissenschaftliche Annahmen, wonach Babys bereits im Mutterleib lebende Bakterien beherbergen, sind unzutreffend – dies belegen internationale Forscher*innen unter der Beteiligung von Thomas Rattei, Bioinformatiker an der Universität Wien. Die Studie erscheint in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature. Einstimmig wiederlegen die insgesamt 46 Expert*innen darin die Existenz eines "fetalen Mikrobioms" und klären damit eine wissenschaftliche Kontroverse, die weitreichenden Einfluss auf die klinische Medizin hat.
Die Annahme, dass die Gebärmutter eine sterile Umgebung ist und
Babys entsprechend erst nach der Geburt ein Mikrobiom, d.h. eine
Gemeinschaft von Darmbakterien und anderen Mikroorganismen, entwickeln,
gehört zu den etablierten Grundsätzen der Immunologie und
Reproduktionsbiologie. Mehrere nach 2010 veröffentlichte Studien
stellten diesen Grundsatz in Frage: Sie konnten Bakterien in Proben der
Plazenta und des Fruchtwassers nachweisen. Ein interdisziplinäres Team
führender Expert*innen aus der Reproduktionsbiologie, der
Mikrobiomforschung und der Immunologie nahm diese kontrovers
diskutierten Studien genau in den Blick und überprüfte die Analysen.
Expert*innen stellen fest: Proben kontrovers diskutierter Studien kontaminiertDie
Expert*innen kamen einstimmig zu dem Schluss, dass der Nachweis von
Mikrobiomen in fetalem Gewebe, d.h. im Gewebe eines ungeborenen Babys,
auf eine Verunreinigung (Kontamination) von Proben aus dem Mutterleib
zurückzuführen ist. "Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen
besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien.
Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von
Kontaminationen unterschieden werden", erklärt Thomas Rattei, Leiter der
Forschungsabteilung für computergestützte Systembiologie am Zentrum für
Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien.
"Datenbanken und Methoden der Bioinformatik spielen in solchen Analysen
eine besondere Rolle", ergänzt er. Für die nun veröffentlichte Studie
evaluierte er Aussagen zur Datenanalyse und Bioinformatik. In
Übereinstimmung mit seinen internationalen Kolleg*innen kommt er in der
nun veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass es bei der vaginalen
Entbindung, bei klinischen Verfahren oder bei der Laboranalyse zu einer
Verunreinigung der Proben gekommen ist. Die Bakterien waren entsprechend
nicht bereits vor der Geburt im Fruchtwasser und der Plazenta
vorhanden.
Studie leistet Beitrag zur Qualität zukünftiger Forschung"Die
Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt
entwickelt, hat einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die
Gesundheit", sagt Thomas Rattei. "Für ein gutes wissenschaftliches
Verständnis müssen Studien in diesem Bereich international vergleichbar
durchgeführt werden, und dazu trägt diese Publikation bei", ergänzt er.
Der Konsens der Expert*innen diene Forschenden in diesem Bereich als
wichtige Orientierung, um ihre Forschungsanstrengungen dort zu
konzentrieren, wo sie am effektivsten sind, betont Mikrobiomforscher und
Studienleiter Jens Walter vom University College Cork (Irland). "Das
Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet,
bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in
der frühen postnatalen Phase stattfindet," fasst er zusammen. Die
Autor*innen des Nature-Beitrags ermutigen Forschende daher, ihre Studien
auf das Mikrobiom von Müttern und ihren Neugeborenen sowie auf die
mikrobiellen Stoffwechselprodukte zu konzentrieren, die die Plazenta
passieren und den Fötus auf ein Leben in einer mikrobiellen Welt nach
der Geburt vorbereiten. Sie geben in ihrem Beitrag zudem Hinweise
darauf, wie Wissenschafter*innen in Zukunft bei der Analyse von Geweben,
in denen keine oder nur geringe Mengen an Mikroben zu erwarten sind,
Kontaminationsfallen vermeiden können.
Den Artikel finden Sie unter:
https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/mensch-ist-nicht-bereits-vor-geburt-mit-bakterien-besiedelt
Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (01/2023)
Publikation: "Questioning
the fetal microbiome and pitfalls of low-biomass microbial studies",
Katherine M. Kennedy, Marcus C. de Goffau, Thomas Rattei, Jens Walter
et.al.; Nature (2023), DOI: 10.1038/s41586-022-05546-8 |