Mikroplastik in der Umwelt: Daten reichen nicht aus |
Misst man nur zu einem einzigen Zeitpunkt, wieviel Mikroplastik sich in der Umwelt befindet, so lassen sich daraus keine Rückschlüsse auf den Zerfall und die künftige Verbreitung des Kunststoffs ziehen. Dazu sind vielmehr Zeitreihen der Partikelverteilung erforderlich, wie Physiker der Philipps-Universität Marburg mit Modellrechnungen herausgefunden haben. Die Forscher berichten im Wissenschaftsmagazin „Scientific Reports“ über ihre Ergebnisse.
Messen, messen und wieder messen: Marburger Physiker zeigen, wie sich der Abbau von Kunststoffpartikeln erforschen lässt.
Die
weltweite Kunststoffproduktion erreichte im Jahr 2019 einen Umfang von
368 Millionen Tonnen, rechnet der Weltverband der Plastikhersteller vor.
Ein großer Teil des Materials gelangt in die Umwelt. Wie der Kunststoff
sich dort im Lauf der Zeit verteilt, hängt unter anderem vom Zerfall
der Partikel ab. „Bisher weiß man wenig über den Abbau von
Mikroplastik“, sagt der Marburger Physiker Professor Dr. Peter Lenz, der
die aktuelle Studie leitete.
Messen Kunststoffpartikel weniger
als fünf Millimeter im Umfang, nennt man sie Mikroplastik. „Sie werden
durch Kosmetika oder andere Gebrauchsprodukte in die Umwelt eingetragen
oder entstehen durch die Zersetzung von Plastikmu?ll“, führt Lenz aus.
Die Wissenschaftler nutzten ausgeklügelte Berechnungsverfahren, um
herauszufinden, ob aus den derzeit verfügbaren Daten nützliche
Informationen über den Zerfall von Mikroplastikpartikeln gewonnen werden
können. Lässt sich der Zerfallsprozess erklären, wenn man die
Ergebnisse nutzt, die im Gelände gewonnen werden?
„Derzeit liegen
meist Daten von Größenverteilungen vor, die zu einzelnen Zeitpunkten
gemessen wurden“, berichtet Mitverfasser Timo Metz, der seine
Bachelorarbeit in der Arbeitsgruppe von Lenz anfertigte. „Wir haben
zunächst mit einem sehr einfachen Modell für den Zerfall von
Mikroplastik gearbeitet.“ Mit diesem Modell zeigen die Wissenschaftler,
dass es unmöglich ist, alle wichtigen Faktoren für den Zerfall des
Kunststoffs aus einer einzigen Größenverteilung zu gewinnen. Denn
zerkleinerte Partikel unterscheiden sich in der Größe nicht unbedingt
von Plastikteilchen, die neu in die Umwelt gelangen.
Wie müssen
die Daten beschaffen sein, um aussagekräftiger zu sein? Das Team ging
dieser Frage nach, indem es künstliche, komplexere Daten erzeugte, auf
die es das Berechnungsmodell anwendete. „Unsere Analyse ergab einige
Mindestanforderungen, die experimentell gewonnene Daten erfüllen
müssen“, legt der dritte Koautor dar, der Marburger Physiker Professor
Dr. Martin Koch: Die Daten sollten zu mehreren Zeitpunkten an
identischen Stellen gesammelt werden, um eine Zeitreihe zu bilden.
Außerdem reichen Größenmessungen alleine nicht aus, sie sollten mit der
Bestimmung der Massen kombiniert werden.
Das Team gibt außerdem
noch weitere Anregungen, wie sich das Vorkommen von Kunststoffteilchen
besser als bisher erheben lässt. Unter anderem empfehlen die Forscher,
zusätzliche Größenkategorien einzuführen, Messungen an verschiedenen
Orten vorzunehmen und Eigenschaften wie Material und Form einzubeziehen,
die den Abbauprozess beeinflussen. Alle Daten sollten in Zeitreihen
erhoben werden.
Peter Lenz leitet eine Arbeitsgruppe im
Fachgebiet „Komplexe Systeme“ des Fachbereichs Physik der
Philipps-Universität. Professor Dr. Martin Koch lehrt Physik an der
Philipps-Universität Marburg und leitet die Arbeitsgruppe
Halbleiterphotonik. Das Land Hessen unterstützte die zugrunde liegende
wissenschaftliche Arbeit durch eine LOEWE-Exploration-Förderung.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2022/mikroplastik-in-der-umwelt-daten-reichen-nicht-aus
Quelle: Philipps-Universität Marburg (01/2022)
Publikation: Timo Metz, Martin Koch & Peter Lenz: Extracting microplastic decay rates from field data, Scientific Reports 2022, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-022-04912-w |