Molekularbiologie: Bleiben proliferierende Zellen epigenetisch flexibler? |
Das Erbmolekül DNA liegt im Zellkern als dicht gepackter DNA-Protein-Komplex vor, der Chromatin genannt wird. Die Struktur des Chromatins reguliert den Zugang zu den Genen und damit die Genaktivität. Eine essenzielle Rolle spielen dabei verschiedene chemische Modifikationen bestimmter Proteine – sogenannter Histone – die die Struktur des Chromatins beeinflussen und sowohl aktivierende als hemmende Eigenschaften haben können. Wie diese epigenetischen Modifikationen etwa während der Entwicklung reguliert werden, ist bisher nur unzureichend verstanden.
Wissenschaftler um den LMU-Molekularbiologen Ralph Rupp konnten nun
zeigen, dass der Lebenszyklus der Zellen einen Einfluss darauf hat,
welche Modifikationen vorherrschen. In sich schnell teilenden Zellen
gehen hemmende Modifikationen verloren, sodass bereits stillgelegte Gene
wieder aktiviert werden könnten. Dieser Mechanismus betrifft embryonale
Zellen und vermutlich auch adulte Stamm- und Vorläuferzellen.
Histonmodifikationen
vermitteln wichtige Informationen für den korrekten Ablauf der frühen
Entwicklung. In einem etablierten Tiermodell – Kaulquappen des
Krallenfroschs Xenopus laevis – konnten die Wissenschaftler nachweisen,
dass in unterschiedlichen Stadien der Embryonalentwicklung jeweils
unterschiedliche Histonmodifikationen vorherrschend sind. „Zu unserem
großen Erstaunen haben wir gefunden, dass der Zellzyklus – also die
zeitliche Abfolge der Abläufe von einer Teilung bis zur nächsten – diese
Veränderungen der Chromatinprofile beeinflusst“, sagt Rupp: „Wenn die
Zellen zwischen Ruhezustand und Proliferation – der Wachstumsphase, in
der sich die Zellen teilen – wechseln, verändern sich selektiv bestimmte
epigenetische Merkmale.“
Dies betraf vor allem repressorische
Modifikationen, also solche, durch die Gene stillgelegt werden. „Gerade
diese Modifikationen sind offensichtlich sehr empfindlich gegenüber dem
sogenannten S-phase-Verdünnungseffekt“, sagt Rupp. Der Effekt beruht
darauf, dass bei der Zellteilung nicht nur die DNA, sondern auch das
Chromatin verdoppelt werden muss. Während die vorhandenen Histonproteine
zu gleichen Teilen auf die verdoppelten DNA-Stränge übertragen werden,
füllen neugebildete Histone, die nicht modifiziert sind, die Lücken auf.
Der ursprüngliche Modifikationsgrad halbiert sich somit auf den
Tochterchromosomen.
Die Beobachtungen am Krallenfrosch zeigen
nun, dass die Teilungsaktivität von Zellen die Anhäufung repressorischer
Markierungen im Genom reguliert. Eine wichtige Implikation davon ist,
dass bereits stillgelegte Gene nach der Teilung wieder aktivierbar und
damit die Zelleigenschaften plastischer werden. „In ruhenden Zellen
dagegen nimmt die Zahl der repressorischen Markierungen zu und
übersteigt irgendwann Schwellenwerte, ab denen bestimmte Gene permanent
inaktiviert werden“, sagt Rupp.
Neben embryonalen Zellen betrifft
dieser Mechanismus wohl vor allem adulte Stamm- und Vorläuferzellen, so
die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach könnte man den Effekt
möglicherweise nutzen, um die sogenannte Reprogrammierung von Zellen für
therapeutische Zwecke effektiver zu machen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/molekularbiologie-bleiben-proliferierende-zellen-epigenetisch-flexibler.html
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München (10/2021)
Publikation: Daniil
Pokrovsky, Ignasi Forné, Tobias Straub, Axel Imhof, Ralph A. W. Rupp: A
systemic cell cycle block impacts stage specific histone modification
profiles during Xenopus embryogenesis. PLoS Biology 2021 https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3001377#sec010 |