Ein Säugetier-Embryo kann sich nicht von allein entwickeln. Bevor er sich in der Gebärmutter einnistet, versorgt die Eizelle den frühen Embryo mit allem Lebenswichtigen. Sie stellt unter anderem wichtige Proteine bereit. Forschende um Melina Schuh am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften haben nun gemeinsam mit Göttinger Kolleg*innen aufgeklärt, wie Eizellen Proteine auf Vorrat halten. Ihre Experimente liefern auch wertvolle Erkenntnisse dazu, wie Fehler bei der Proteinspeicherung zu Unfruchtbarkeit führen können. Eine entscheidende Rolle dabei spielen Strukturen der Eizelle, die Wissenschaftler*innen seit über 60 Jahren Rätsel aufgeben.
Für viele Paare lässt das Elternglück auf sich warten. Für einige
bleibt der Kinderwunsch sogar unerfüllt. Die Ursachen sind vielfältig
und können bei der Frau wie beim Mann liegen. Bei Frauen nehmen
Unfruchtbarkeit oder verminderte Fruchtbarkeit mit dem Alter zu. Aber
auch genetische Mutationen können dazu beitragen. Analysen des Erbguts
von unfruchtbaren Frauen weltweit zeigten, dass eine der häufigsten
genetischen Ursachen für weibliche Unfruchtbarkeit Mutationen in
bestimmten Genen sind. Diese enthalten die Baupläne für das Protein
PADI6 und den Proteinkomplex Subcortial Maternal Complex, kurz SCMC.
Doch welche Rolle gerade diese Proteine bei Unfruchtbarkeit spielen, war
bislang unklar.
Proteinspeicher für den frühen Embryo
Forschende
um Melina Schuh haben jetzt mithilfe bildgebender Verfahren sichtbar
gemacht, dass PADI6 und SCMC Hauptbestandteile von Strukturen sind, die
das Innere der Eizelle ausfüllen. „Die Forschungswelt rätselt seit
Jahrzehnten, welche Funktion und Zusammensetzung diese Struktur hat, die
wir als zytoplasmatische Gitter bezeichnen,“ erklärt
Max-Planck-Direktorin Schuh.
Entfernten die Wissenschaftler*innen
in Mäuse-Eizellen die PADI6- und SCMC-Proteine, ging das
zytoplasmatische Gitter verloren – mit fatalen Folgen. „Mäuse-Eizellen,
denen das zytoplasmatische Gitter fehlte, fehlten auch die Proteine, die
der frühe Embryo benötigt. Die Entwicklung des Embryos kam kurz nach
der Befruchtung zum Stillstand“, so die Zellbiologin. „Wir vermuteten
daher, dass die zytoplasmatischen Gitter als Proteinspeicher dienen
könnten.“
Proteine auf Vorrat in der Eizelle zu speichern ist
keineswegs trivial. Denn Eizellen sind von Geburt an in den Eierstöcken
eines weiblichen Säugetiers angelegt und bleiben dort Monate oder sogar
viele Jahre funktionsfähig. Entsprechend lange müssen Eizellen ihre
Proteine auf Vorrat halten, ohne dass sie abgebaut oder zu einem
falschen Zeitpunkt aktiv werden.
Die Forschenden untersuchten im
nächsten Schritt, welche Proteine in den zytoplasmatischen Gittern
enthalten sind. In Kooperation mit Gruppen um Henning Urlaub und Juliane
Liepe vom MPI ermittelten sie mithilfe von Massenspektrometrie und
Bioinformatik das genaue Proteininventar der Gitter.
Wie die
Ergebnisse zeigten, verbinden sich die zytoplasmatischen Gitter mit
vielen Proteinen, die für die Embryonalentwicklung entscheidend sind.
„Unsere Ergebnisse liefern starke Hinweise darauf, dass unsere Vermutung
stimmt: Die zytoplasmatischen Gitter sind die Proteinspeicher der
Eizelle und versorgen den frühen Embryo mit lebenswichtigen Proteinen“,
sagt Schuh.
Wie sie weiter herausfanden, übernehmen die PADI6-
und SCMC-Proteine bei der Proteinvorratshaltung die Aufgabe, Proteine
für die Frühentwicklung des Embryos zu sammeln und zu speichern. „Das
erklärt, warum Embryos kurz nach der Befruchtung aufhören, sich zu
entwickeln, wenn diese Proteine fehlen oder ihre Funktion nicht erfüllen
können“, sagt Ida Jentoft, Erstautorin der jetzt im Fachmagazin Cell
veröffentlichten Studie. „Uns hat dann interessiert, ob sich ein
defekter Proteinspeicher ersetzen lässt, wenn beispielsweise durch
Genmutationen PADI6 und SCMC fehlen. “
In Versuchen gelang es dem
Team, in wachsende Eizellen von Mäusen die fehlenden Gitterproteine
wieder künstlich einzubringen. Mit diesem Ansatz ließe sich
möglicherweise auch in fehlerhaften menschlichen Eizellen das
zytoplasmatische Gitter neu aufbauen. Dies könne ein neuer
vielversprechende Ansatz sein, um Unfruchtbarkeit zu behandeln, die auf
Mutationen der PADI6- und SCMC-Gene beruhen, meint Jentoft.
Gefrorene Eizellen unter der Lupe
Auf
die Frage, warum es so viele Jahrzehnte dauerte, die Funktion der
rätselhaften Gitterstrukturen in der Eizelle zu entschlüsseln, haben
Schuh und Jentoft eine kurze Antwort: die Größe der Eizelle und die
fehlenden Methoden. Eizellen sind die Giganten unter den verschiedenen
Zelltypen in Säugetieren. Was sie für das Speichern von Proteinen
prädestiniert, erschwert den Blick in ihr Innenleben.
„Die große
methodische Herausforderung war es, die Eizellen für unsere verwendeten
Bildgebungsverfahren – hochauflösende Lichtmikroskopie und
Kryo-Elektronentomografie (Kryo-ET) – zugänglich zu machen. Letztere
ermöglicht es, molekulare Strukturen der Eizelle in 3D unter fast
natürlichen Bedingungen zu untersuchen. Das war bislang nicht möglich“,
so die Max-Planck-Direktorin. Zum Durchbruch bei diesem Verfahren
verhalf dem Team ein bereits bewährter Trick aus der
Reproduktionsmedizin.
Für die Kryo-ET müssen Zellen zunächst
schockgefroren werden. Dabei machten sich die Forschenden zunutze, dass
Kliniken menschliche Eizellen für künstliche Befruchtung routinemäßig
einfrieren, um sie zu lagern. Um die Eizellen während des Einfrierens zu
schützen, verwenden die Kliniken Kryo-Schutzmittel. „Wir hatten die
Idee, dieselben Kryoprotektiva zu verwenden, um das erforderliche
schnelle Einfrieren der Eizellen zu erreichen“, berichtet Rubén
Fernández-Busnadiego von der Universitätsmedizin Göttingen. „Mit dieser
Technik können wir die zytoplasmatischen Gitter in der Eizelle
untersuchen und beginnen, ihre Struktur im Detail zu entschlüsseln“,
ergänzt Schuh. Von den neuen Techniken erhoffen sich die Forschenden
neben zukünftigen neuen Therapieansätzen wichtige Fortschritte in der
Eizellforschung.
Quelle: Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (11/2023)
Publikation: Jentoft,
I. M. A; Bäuerlein, F. J. B.; Welp, L. M.; Cooper, B. H.; Petrovic, A.;
So, C.; Penir, S. M.; Politi, A. Z.; Horokhovskyi, Y.; Takala, I.;
Eckel, H.; Moltrecht, R.; Lénárt, P.; Cavazza, T.; Liepe, J.; Brose, N.;
Urlaub, H.; Fernández-Busnadiego, R.; Schuh, M.: Mammalian oocytes
store proteins for the early embryo on cytoplasmic lattices, Cell
(2023). https://doi.org/10.1016/j.cell.2023.10.003