Explodierende Sterne: Fahndung nach Zeugen erdnaher astrophysikalischer Ereignisse
Explodieren massereiche Sterne oder andere stellare Objekte in der kosmischen Nachbarschaft der Erde, kann dabei ausgeschleudertes Material auch unser Sonnensystem erreichen. Spuren dieser Ereignisse finden sich auf der Erde oder dem Mond und lassen sich mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie oder kurz AMS genannten Methode nachweisen. Einen Überblick über diese Forschung liefert in der Fachzeitschrift "Annual Review of Nuclear and Particle Science" Prof. Anton Wallner vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), der diesen vielversprechenden Forschungszweig bald auch mit der neuen, extrem empfindlichen AMS-Anlage „HAMSTER“ entscheidend vorantreiben will.
In dem Fachartikel gibt der HZDR-Physiker Anton Wallner gemeinsam
mit seinem Kollegen Prof. Brian D. Fields von der University of Illinois
im US-amerikanischen Urbana einen Überblick über erdnahe kosmische
Explosionen mit speziellem Fokus auf Ereignisse, die vor drei
beziehungsweise sieben Millionen Jahren stattfanden. „Zum Glück waren
diese Ereignisse noch weit genug entfernt, sodass sie wohl keinen
signifikanten Einfluss auf das Erdklima oder größere Auswirkungen auf
die Biosphäre hatten. Richtig ungemütlich wird es bei kosmischen
Explosionen in einer Entfernung von bis zu 30 Lichtjahren“, erklärt
Wallner. Umgerechnet in die astrophysikalische Einheit Parsec entspricht
dies weniger als acht bis zehn Parsec.
Sobald massereiche Sterne
ihren gesamten Brennstoff verfeuert haben, kollabiert ihr Kern zu einem
extrem kompakten Neutronenstern oder zu einem Schwarzen Loch, während
gleichzeitig heißes Gas mit hoher Geschwindigkeit nach außen
geschleudert wird. Eine sich ausdehnende Schockwelle nimmt einen großen
Teil des zwischen den Sternen fein verteilten Gases und Staubs mit. Wie
ein gigantischer Luftballon mit Beulen und Dellen sammelt diese Hülle
auch schon vorhandenes Material aus dem Weltraum auf. Nach vielen
Tausenden von Jahren haben sich die Reste einer Supernova auf einen
Durchmesser von mehreren zehn Parsec ausgedehnt, breiten sich immer
langsamer aus, bis die Bewegung schließlich ausklingt.
Eine nahe
Explosion könnte einen gravierenden Effekt auf die Biosphäre der Erde
haben und ein Massensterben verursachen ähnlich wie etwa der
Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren. Diesem fielen die
Dinosaurier und viele weitere Tierarten zum Opfer. „Betrachtet man den
Zeitraum seit Bildung des Sonnensystems, der sich über Milliarden Jahre
erstreckt, können sehr nahe kosmische Explosionen nicht ausgeschlossen
werden“, betont Wallner. Immerhin treten Supernovae nur bei sehr
schweren Sternen mit mehr als acht- bis zehnfacher Masse unserer Sonne
auf. Derartige Sterne sind selten. Einer der nächsten Kandidaten dieser
Größenklasse ist Betelgeuse im Sternbild Orion, der sich mit rund 150
Parsec in sicherer Entfernung des Sonnensystems befindet.
Produktion interstellarer Isotope
Bei
den kosmischen Explosionen oder kurz vor und während der Supernova
werden viele neue Atome frisch gebildet – unter ihnen auch eine Reihe
radioaktiver Atome. Besonders interessiert sich Wallner für das
radioaktive Eisen-Isotop mit der Atom-Masse 60. Von diesen kurz Fe-60
genannten Isotopen haben sich etwa die Hälfte aller Atome nach 2,6
Millionen Jahren in ein stabiles Nickel-Isotop verwandelt. Daher ist
heute alles Fe-60, das schon bei der Entstehung der Erde vor rund 4.500
Millionen Jahren vorhanden war, längst verschwunden. „Fe-60 ist auf der
Erde extrem selten, da es auf natürliche Weise nicht signifikant
produziert wird. Es wird aber in großen Mengen direkt vor einer
Supernova-Explosion erzeugt. Taucht nun in Sedimenten der Tiefsee oder
im Material von der Oberfläche des Mondes dieses Isotop auf, stammt es
von einer Supernova oder einem anderen, ähnlichen Prozess im Weltraum,
der erst vor einigen Millionen Jahren in der Nähe der Erde stattgefunden
haben sollte“, fasst Wallner zusammen.
Vergleichbares gilt auch
für das Plutonium-Isotop mit der Masse 244. Dieses Pu-244 entsteht
allerdings vermutlich eher beim Zusammenstoß von Neutronensternen als
bei Supernovae. Damit ist es ein Indikator für die Nukleosynthese
schwerer Elemente. Nach einer Zeit von 80 Millionen Jahren hat sich
ungefähr die Hälfte des Isotops Pu-244 in andere Elemente verwandelt.
Deshalb ist das langsam zerfallende Pu-244 neben dem Fe-60 ein weiterer
Indikator für galaktische Ereignisse und die Produktion neuer Elemente
in den letzten Millionen Jahren.
„Wie häufig, wo und unter
welchen Bedingungen genau diese schweren Elemente produziert werden,
wird derzeit heiß in der Wissenschaft diskutiert. Das Plutonium-244
benötigt ebenfalls explosive Ereignisse und entsteht laut Theorie
ähnlich wie die seit jeher natürlich auf der Erde vorkommenden Elemente
Gold oder Platin, die nun aus stabilen Atomen bestehen“, erklärt
Wallner.
Staubkörner als kosmische Frachtschiffe
Aber wie
kommen diese Isotope überhaupt bis zur Erde? Die von der Supernova
ausgeschleuderten Fe-60-Atome sammeln sich gern in Staubkörnern. Das tun
auch die – möglicherweise bei anderen Ereignissen entstandenen –
Pu-244-Isotope, die von der sich ausbreitenden Hülle der Supernova
aufgefegt werden. Bei kosmischen Explosionen in mehr als zehn, aber
weniger als 150 Parsec Entfernung verhindern laut Theorie der Sonnenwind
wie auch das Magnetfeld der Heliosphäre ein Vordringen einzelner Atome
bis zur Erde, doch die in Staubkörnchen eingeschlossenen Fe-60- und
Pu-244-Atome fliegen weiter Richtung Erde und Mond und können dort
schließlich auf die Oberfläche herunterrieseln.
Selbst bei einer
Supernova innerhalb des sogenannten „Kill-Radius“ von weniger als zehn
Parsec landet auf jedem Quadratzentimeter nicht einmal ein Mikrogramm
Materie aus der Hülle. Von dem Fe-60 kommen pro Quadratzentimeter
überhaupt nur ein paar Atome pro Jahr auf die Erde. Das stellt
„Ermittler“ wie den Physiker Anton Wallner vor eine gewaltige
Herausforderung: In einer ein Gramm schweren Probe aus dem Sediment
verteilen sich vielleicht ein paar 1.000 Fe-60-Atome wie Stecknadeln in
einem Heuhaufen in einer Menge von Milliarden mal Milliarden der
allgegenwärtigen und stabilen Eisenatome mit der Atom-Masse 56.
Obendrein erfasst selbst die empfindlichste Messmethode vielleicht nur
jedes fünftausendste Teilchen, also maximal jeweils nur ein paar
Fe-60-Atome in einer typischen Messprobe.
Bestimmen kann man
solch extrem geringe Konzentrationen nur mit der
Beschleuniger-Massenspektrometrie, die nach dem englischen Begriff
„Accelerator Mass Spectrometry“ mit AMS abgekürzt wird. Eine dieser
Anlagen steht mit DREAMS, der Dresdner AMS, am HZDR, dazu kommt
demnächst die Anlage HAMSTER (Helmholtz Accelerator Mass Spectrometer
Tracing Environmental Radionuclides). Da AMS-Anlagen weltweit teils
unterschiedlich ausgelegt sind, können sich verschiedene Anlagen
ergänzen bei der Fahndung nach den seltenen Isotopen aus
Supernova-Explosionen.
20 Jahre für gerade einmal tausend Fe-60-Atome
Isotope
des gleichen Elements, die aber wie das auf der Erde natürlich
vorkommende Fe-56 eine andere Masse haben, werden mit Massefiltern
entfernt. Ebenso stören Atome eines anderen Elements mit der gleichen
Masse wie das Untersuchungsobjekt Fe-60, also zum Beispiel das natürlich
vorkommende Nickel-60. Selbst nach einer sehr aufwendigen chemischen
Aufbereitung der Proben sind sie immer noch milliardenfach häufiger als
Fe-60 und müssen in einer speziellen Beschleuniger-Anlage mit den
Methoden der Kernphysik abgetrennt werden. Bis dann am Ende vielleicht
fünf einzelne Fe-60-Atome in einer einige Stunden dauernden Messung
dingfest gemacht werden. Pionierarbeit zum Nachweis von Fe-60 leistete
die TU München. Zurzeit gibt es jedoch nur eine Anlage weltweit, die
empfindlich genug ist für diese Messungen, und zwar in Canberra an der
Australian National University.
Insgesamt hat man in den
vergangenen 20 Jahren gerade einmal rund tausend Fe-60-Atome gemessen.
Für das interstellare Pu-244 lagen wegen der nochmals mehr als
10.000-fach niedrigeren Konzentration lange nur Daten für einzelne Atome
vor. Erst vor kurzem ist es gelungen, an einer speziellen Infrastruktur
in Sydney, die der im Aufbau befindlichen HAMSTER-Anlage am HZDR
ähnelt, etwa hundert Pu-244-Atome zu bestimmen. Für die Untersuchungen
eignen sich allerdings nur bestimmte Proben, die als Archive die aus dem
Weltraum kommenden Atome für Jahrmillionen konservieren. So werden
kosmische Isotope auf der Erdoberfläche durch geologische Prozesse rasch
„verdünnt“. Ideal sind Sedimente und Krusten aus der Tiefsee, die sich
ungestört am Meeresboden langsam bilden. Oder Proben von der
Mondoberfläche, weil störende Prozesse dort kaum eine Rolle spielen.
Während
einer Forschungsreise bis Anfang November 2023 hat sich Wallner mit
Kolleg*innen in Australien auf die Jagd nach weiteren kosmischen
Isotopen gemacht – in Canberra fahndete er nach Fe-60-, in Sydney nach
PU-244-Atomen. Dafür hat er von der US-Weltraumorganisation NASA eine
Reihe von Mond-Proben erhalten. „Parallel finden auch Messungen am HZDR
statt. Die einzigartigen Proben erlauben es uns, neue Erkenntnisse über
Supernova-Explosionen in der Nähe der Erde, aber auch über die in diesen
und anderen Prozessen entstehenden schwersten Elemente in unserer
Galaxie zu gewinnen“, ist sich Wallner sicher.
Publikation: Deep-Sea
and Lunar Radioisotopes from Nearby Astrophysical Explosions, Annual
Review of Nuclear and Particle Science 73 (2023) 365-395; pp. 30: Brian
D. Fields and Anton Wallner https://doi.org/10.1146/annurev-nucl-011823-045541