Ein Pollen mit darin enthaltenem Nanoschaum oder die faszinierenden geometrischen Strukturen im Inneren einer Kieselalge: Mit einer innovativen Technik ist es einem Team um die DESY-Forscherin Saša Bajt und den DESY-Forscher Henry Chapman an DESYs brillanter Röntgenstrahlungsquelle PETRA III gelungen, winzige biologische Proben zu durchleuchten, ohne sie zu beschädigen. Das neuartige Verfahren liefert hochauflösende Röntgenbilder von getrocknetem biologischem Material, das zuvor weder eingefroren noch beschichtet oder anderweitig verändert werden muss.
Biologische Materialien reagieren sehr empfindlich auf
Röntgenstrahlung. Schon vergleichsweise geringe Dosen können sie
schädigen und damit die Bestimmung ihrer Struktur verfälschen. Die neue
Methode nutzt hochenergetische Röntgenstrahlung, die durch innovative
Speziallinsen stark fokussiert wird. Dadurch kommt die Technik mit
weniger als einem Prozent der üblicherweise schädlichen Röntgendosis
aus. Sie liefert dennoch Bilder mit einer Auflösung im Nanometerbereich
(millionstel Millimeter). Die Methode eignet sich damit besonders für
Röntgenlichtquellen der nächsten Generation wie das geplante ultimative
Röntgenmikroskop PETRA IV bei DESY.
Röntgenlicht interagiert auf
unterschiedliche Weise mit biologischem Material, vor allem abhängig von
der Energie und Intensität des Lichts. Röntgenstrahlung niedrigerer
Energie wird vor allem von den Atomen in der Probe absorbiert, deren
Elektronen dadurch aus der Atomhülle herausgeschleudert werden. Bei
höheren Röntgenenergien dominiert ein Prozess, der als elastische
Streuung bezeichnet wird. Dabei prallen die Röntgenphotonen wie
Billardkugeln an der Materie ab, ohne ihre Energie abzugeben. Techniken
wie die Kristallographie oder die Ptychographie basieren auf diesem
Phänomen. Dennoch kann es auch dabei zu einer Absorption der
energiereichen Photonen und damit zu Strahlenschäden an der Probe
kommen.
Die neue Methode setzt auf einen dritten Prozess: die
Compton-Streuung, bei der die Röntgenphotonen an den Elektronen gestreut
werden und nur einen winzigen Teil ihrer Energie im Zielmaterial
zurücklassen. Die Compton-Streuung wurde als Methode für die
Röntgenmikroskopie bislang weitgehend ignoriert, da sie noch höhere
Röntgenenergien erfordert, für die es keine geeigneten hochauflösenden
Optiken gab. „Wir haben die Compton-Streuung verwendet und
herausgefunden, dass die in der Probe deponierte Energie pro Menge an
nachgewiesenen Photonen geringer ist als bei den anderen Methoden", sagt
Chapman, Leitender Wissenschaftler bei DESY, Professor an der
Universität Hamburg und Erfinder verschiedener Röntgentechniken.
Der
Vorteil der geringen Röntgendosis in der Probe ist zugleich allerdings
eine Herausforderung für die Herstellung geeigneter Linsen:
Hochenergetische Röntgenstrahlung durchdringt fast alle Materialien und
wird kaum gebrochen oder gebeugt, wie es für die Fokussierung von
Strahlung jedoch erforderlich ist. Bajt hat dazu eine neue, innovative
Art von Röntgenlinsen entwickelt, sogenannte Mehrschicht-Laue-Linsen
(MLL). Diese neuen Optiken bestehen aus über 7300 nanometerdünnen
Schichten, die abwechselnd aus Siliziumkarbid und Wolframkarbid
gefertigt sind. Mit ihnen konnte das Team ein holografisches optisches
Element konstruieren, mit dem sich die Röntgenstrahlung effizient
fokussieren ließ.
Mit diesem Linsensystem konnte das Team an der
Messstation P07 bei PETRA III eine Vielzahl biologischer Materialien
abbilden, indem es die Compton-Streuungsdaten erfasste, während die
Probe durch den fokussierten Strahl lief. Diese Art der
Rastermikroskopie erfordert eine sehr helle Röntgenquelle – je heller,
desto besser. Die Fokussierung der Strahlung auf einen Punkt bestimmt
die Auflösung der Bilds. DESYs hochbrillante Synchrotronstrahlungsquelle
PETRA III ist bei hohen Röntgenenergien hell genug, um Bilder auf diese
Weise in einer annehmbaren Zeit aufzunehmen. Ihr volles Potenzial kann
die Technik am geplanten Röntgenmikroskop PETRA IV entfalten.
Um
die Methode zu testen, verwendete das Team eine Blaualge
(Cyanobakterium), eine Kieselalge und sogar ein Pollenkorn, das direkt
vor dem Labor gesammelt wurde – „eine sehr lokale Probe“, wie Bajt
betont. Die Untersuchung erreichte bei allen Proben eine Auflösung von
70 Nanometern. Im Vergleich zur Untersuchung einer ähnlichen Pollenprobe
mit der konventionellen Methode der kohärenten Röntgenstreuung
erreichte die Compton-Röntgenmikroskopie eine ähnliche Auflösung bei
einer 2000 Mal geringeren Röntgendosis. „Als wir die Proben nach dem
Experiment erneut mit einem Lichtmikroskop untersuchten, konnten wir
keine Spuren der Strahlung feststellen“, berichtet Bajt, die
Gruppenleiterin am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) bei
DESY ist.
„Diese Ergebnisse könnten sogar noch besser sein“,
erläutert Chapman. „Im Idealfall würde man für ein solches Experiment
einen kugelförmigen Detektor verwenden, weil die gestreute
Röntgenstrahlung aus der Probe in alle Richtungen fliegt. In dieser
Hinsicht ist es ein bisschen wie bei einem Kollisionsexperiment in der
Teilchenphysik, bei dem man Daten in allen Richtungen sammeln muss.“
Außerdem wiesen die Messdaten darauf hin, dass bei einer höheren
Helligkeit wie etwa von PETRA IV die Auflösung noch steigen kann. So
könnten etwa in den noch relativ strukturlosen Aufnahmen der
Cyanobakterien einzelne Organellen und dreidimensionale Strukturen
sichtbar werden, bis zu einer Auflösung von 10 Nanometern, ohne eine
problematische Schädigung.
„Die einzige Einschränkung bei den
Untersuchungen war nicht die Art der Technik, sondern die Helligkeit der
Quelle“, erläutert Bajt. Mit einer helleren Quelle könnte die Methode
dann für die Abbildung ganzer, nicht präparierter Zellen und Gewebe
verwendet werden oder für die Verfolgung von Nanopartikeln innerhalb
einer Zelle, etwa zur direkten Beobachtung einer Medikamentenabgabe.
Durch die Eigenschaften der Compton-Streuung eignet sich die Methode
darüber hinaus auch für nicht-biologische Proben, etwa für die
Untersuchung des Auf- und Entladens von Batterien. „In der Literatur
gibt es bisher nichts Vergleichbares“, sagt Bajt. „Es gibt also noch
viel zu erforschen.“