Twist-Tanz unterm Stroboskop – THz Laser steuert Kristallgitter von hybriden Solarzellen-Materialien |
Trotz rekordverdächtiger LHP-Solarzellenprototypen sind die mikroskopischen Mechanismen, die für die überraschende optoelektronische Leistungsfähigkeit verantwortlich sind, noch nicht umfassend geklärt. Wissenschaftler*innen des Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, der École Polytechnique, der Columbia University und der Freien Universität Berlin konnte die direkte Steuerung der fundamentalen Bewegungen des LHP-Atomgitters demonstrieren. In Zukunft könnte diese präzise Steuerung der atomaren Twist-Bewegung die Erzeugung von neuen Nichtgleichgewichts-Materialeigenschaften ermöglichen und dabei wichtige Hinweise für die Entwicklung neuartiger Solarzellenmaterialien liefern.
Um globale Energieprobleme und die drohende Umweltkrise zu meistern,
suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit nach
neuartigen Materialien zur Umwandlung von Sonnenlicht in Elektrizität.
Einige der vielversprechendsten Kandidaten für kostengünstige und
hocheffiziente Solarzellen basieren auf Blei-Halogenid-Perowskit (LHP)
Halbleitern. Trotz rekordverdächtiger LHP-Solarzellenprototypen sind die
mikroskopischen Mechanismen, die für die überraschende
optoelektronische Leistungsfähigkeit verantwortlich sind, noch nicht
umfassend geklärt. Nun konnten Wissenschaftler*innen des
Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, der École
Polytechnique in Paris, der Columbia University in New York und der
Freien Universität Berlin die direkte Steuerung der fundamentalen
Bewegungen des LHP-Atomgitters demonstrieren. Hierfür nutzen die
Forschenden ein hochintensives elektrisches Feld, welches in schneller
als einer Billionstel Sekunde in Form einer einzigen Lichtschwingung von
fern-infraroter Terahertz Strahlung angelegt wurde. Damit konnte eine
ultraschnelle Reaktion des Kristallgitters beobachtet werden, welche zu
einem mikroskopischen Schutzmechanismus für elektrische Ladungen
beitragen könnte. In Zukunft könnte diese präzise Steuerung der atomaren
Twist-Bewegung die Erzeugung von neuen
Nichtgleichgewichts-Materialeigenschaften ermöglichen und dabei wichtige
Hinweise für die Entwicklung neuartiger Solarzellenmaterialien liefern.
Die
untersuchten hybriden LHP-Solarzellenmaterialien bestehen aus einem
anorganischen Kristallgitter, das als periodisches Gehäuse fungiert um
organische Moleküle zu beherbergen. Das Zusammenspiel von freien
elektrischen Ladungen mit diesem hybriden Kristallgitter bestimmt,
wieviel Elektrizität aus der Energie des Sonnenlichts gewonnen werden
kann. Das Verständnis dieser komplizierten Wechselwirkung könnte der
Schlüssel zum mikroskopischen Verständnis der außergewöhnlichen
optoelektronischen Leistung von LHPs sein.
Forschenden vom
Fritz-Haber-Institut in Berlin und ihren internationalen Kolleg*innen
ist es nun gelungen die isolierte Kristallgitter-Antwort auf ein
elektrischen Feld, welches schneller als in einem Zehntel einer
Billionstel Sekunde (100 Femtosekunden) variiert, zu beobachten. Das
elektrische Feld wurde hierfür durch eine einzelne hochintensive
Lichtschwingung im ferninfraroten, sogenannten Terahertz
(THz)-Spektralbereich bereitgestellt. „Dieses THz Feld ist so stark und
schnell, dass es prinzipiell als Nachahmung des lokalen elektrischen
Feldes einer angeregten Ladung, direkt nach Absorption eines
Lichtteilchens, angesehen werden kann.“ erklärt Maximilian Frenzel,
einer der führenden Experimentatoren der Studie.
Durch diesen
neuen Ansatz beobachten die Wissenschaftler*innen eine synchronisierte
Bewegung des Kristallgitters, welche primär aus einer Hin- und
Her-Neigung der oktaedrischen Einheiten des anorganischen Gitters
besteht. Diese nichtlinear angeregten Vibrationen können im Gegenzug zur
dynamischen Abschirmung höherer Ordnung führen und somit potentiell zu
einem oft diskutierten Ladungsschutzmechanismus beitragen. „Des Weiteren
spielt der zugehörige Neigungswinkel der Oktaeder eine dominante Rolle
für die fundamentalen Materialeigenschaften, wie z.B. die
kristallographische Phase oder die elektronische Bandlücke“, erläutert
Sebastian Maehrlein, Leiter des internationalen Forschungsprojekts.
Hiermit kommt anstelle der statischen chemischen Anpassung von
Materialeigenschaften eine ultraschnelle dynamische Materialgestaltung
in Reichweite: „Da wir jetzt den oktaedrischen Neigungswinkel mit einer
einzelnen THz Laser Lichtschwingung präzise modulieren können,“ fasst
Dr. Maehrlein zusammen, „können wir hoffentlich in Zukunft
Materialeigenschaften nach Bedarf steuern oder sogar neuartige exotische
Zustände dieser aufstrebenden Materialklasse entdecken“. Mit der
Untersuchung solcher dynamischer Materiezustände hoffen die beteiligten
Wissenschaftler*innen Hinweise zum Design der Energiematerialien der
Zukunft beizutragen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.fhi.mpg.de/1283745/2023-05-24-Twisting-Under-the-Stroboscope
Quelle: Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (05/2023)
Publikation: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adg3856 |