AWI-Forschende weisen hohe natürliche Radioaktivität in Manganknollen nach |
Manganknollen am Grund der Tiefsee enthalten wertvolle Metalle, die etwa für die Elektro- und Stahlindustrie von zentraler Bedeutung sind. Um die steigende Nachfrage nach Rohstoffen wie Kobalt und Seltenen Erden zu decken, setzen Industrie und einige Staaten deshalb große Hoffnungen in den Tiefseebergbau. Dass der nicht nur ökologische Folgen hat, sondern auch zu einer Gesundheitsgefährdung bei der industriellen Gewinnung und Verarbeitung der Knollen führen kann, zeigen Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in einer Studie. Demnach überschreitet etwa die Aktivität von Radium-226 in den Knollen einen in der deutschen Strahlenschutzverordnung festgelegten Grenzwert teilweise um das Hundert- bis Tausendfache.
Weite Teile des Tiefseebodens sind mit metallhaltigen Knollen
und Krusten bedeckt. Die kartoffelgroßen Manganknollen finden sich in
allen Ozeanen, vor allem aber im Pazifik in 4.000 bis 6.000 Meter
Wassertiefe. Sie bilden sich sehr langsam über mehrere Millionen Jahre
hinweg und enthalten wertvolle Metalle wie Kupfer, Nickel, Kobalt oder
Seltene Erden – Elemente also, die auch bei der Herstellung
elektronischer Produkte wie Computer, Mobiltelefone, Batterien, Magnete,
Motoren und andere High-Tech-Komponenten benötigt werden. In den
letzten Jahren rückten daher verstärkt Manganknollen und Tiefseebergbau
in den Fokus von Wirtschaft und Politik.
Besonders große Mengen
von Manganknollen finden sich in den Tiefen der Clarion-Clipperton-Zone
im Nordpazifik zwischen Mexiko und Hawaii. Eine Reihe von Staaten –
darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – hat dort
Explorationslizenzen erworben, um zunächst Referenzdaten in den
Lizenzgebieten zu erheben und darauf aufbauend die möglichen
ökologischen Auswirkungen eines kommerziellen Abbaus von Manganknollen
auf die Tiefsee zu ermitteln. Im Juli 2023 will die zuständige
Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) konkrete Regeln für die
industrielle Förderung festlegen.
„Seit 2015 untersuchen wir im
Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten
Projekte der Joint Programming Initiative Ozeane ,MiningImpact‘ und
,MiningImpact2‘ in einem internationalen Konsortium von über 30
Partnerinstitutionen, welche Auswirkungen der Tiefseebergbau auf die
Lebensräume und Ökosysteme der Sedimente und der Wassersäule im Pazifik
haben würde“, erklärt Prof. Dr. Sabine Kasten, Projektleiterin der
MiningImpact-Vorhaben am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für
Polar- und Meeresforschung (AWI). „Unsere neue Studie zur Radioaktivität
von Manganknollen zeigt nun, dass sich neben den Folgen für die
Meeresökosysteme auch potenzielle Gesundheitsgefahren für Menschen im
Zusammenhang mit der Förderung und Verarbeitung von Manganknollen sowie
der Nutzung der daraus gewonnenen Produkte ergeben können. Diese müssen
bei den weiteren Planungen dringend berücksichtigt werden.“
Für
die nun im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienene Studie haben die
AWI-Forschenden Manganknollen untersucht, die im Zuge von zwei
Expeditionen (2015 und 2019) des Forschungsschiffs SONNE in der
Clarion-Clipperton-Zone gewonnen wurden. „Aus früheren Studien war
bereits bekannt, dass die äußere Schicht der Manganknollen auch
natürliche radioaktive Stoffe wie Thorium-230 und Radium-226 enthält,
die sie über lange Zeiträume aus dem Meerwasser anreichern. Allerdings
wurden diese Werte bisher noch nicht im Kontext der
Strahlenschutzgesetzgebung betrachtet“, sagt Studienerstautorin und
Biogeochemikerin Dr. Jessica Volz. „Unsere Studie zeigt nun, dass die
äußere Schicht der extrem langsam wachsenden Knollen für bestimmte
Alphastrahler Werte des Hundert- bis Tausendfachen einiger Grenzwerte
erreichen kann, die im Rahmen von Strahlenschutzregelungen gesetzt
sind“. Für Radium-226 etwa konnte das AWI-Team Aktivitäten von oftmals
über 5 Becquerel pro Gramm auf der Außenseite der Manganknollen
nachweisen. Zum Vergleich: Die deutsche Strahlenschutzverordnung sieht
für eine uneingeschränkte Freigabe Höchstwerte von lediglich 0,01
Becquerel pro Gramm vor. Und selbst beim Umgang mit Altlasten aus dem
Uranerzbergbau muss je nach Situation bereits oberhalb von gemessenen
Höchstwerten von 0,2 beziehungsweise 1 Becquerel pro Gramm eine genaue
Gefährdungsprüfung erfolgen.
„Obwohl wir aus früheren Studien
wussten, dass wir in den Knollen mit einer beträchtlichen Radioaktivität
rechnen müssen, hat uns die tatsächlich gemessene Höhe doch
überrascht“, erklärt AWI-Forscher und Studien-Coautor Dr. Walter
Geibert. „Besonders die hohe Bildungsrate des radioaktiven Edelgases
Radon war ein neuer Befund. Damit kann der ungeschützte Umgang mit
Manganknollen ein Gesundheitsrisiko darstellen. Und das nicht nur beim
Einatmen der bei ihrer Verarbeitung entstehenden Stäube, sondern auch
durch die hohen Radon-Konzentrationen, die sich beim Lagern in schlecht
belüfteten Räumen bilden. Auch in den angestrebten Produkten aus
Manganknollen dürften sich einige radioaktive Stoffe anreichern, so zum
Beispiel Actinium-227 in den Seltenen Erden.“
Ob alle
Manganknollen verschiedener Tiefseeregionen solche Werte erreichen und
wie auf Basis dieser neuen Erkenntnisse die ökologischen, ökonomischen
und sozialen Risiken von Tiefseebergbau und der Verwertung von
Manganknollen einzuschätzen sind, wollen die Forschenden in Folgestudien
herausfinden.
Weitere Informationen zum Projekt MiningImpact2 finden Sie hier: https://jpi-oceans.eu/en/miningimpact-2
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/presse-detailansicht/awi-forschende-weisen-hohe-natuerliche-radioaktivitaet-in-manganknollen-nach.html
Quelle: Alfred-Wegener-Institut (05/2023)
Publikation: Jessica
B. Volz, Walter Geibert, Dennis Köhler, Michiel M. Rutgers van der
Loeff and Sabine Kasten. Alpha radiation from polymetallic nodules and
potential health risks from deep-sea mining. Sci Rep 13, 7985 (2023).
doi.org/10.1038/s41598-023-33971-w |