Schwer fassbare Struktur des Antihistamins Levotirizin mit Elektronenbeugung bestimmt |
Bei medizinischen Wirkstoffen kommt es nicht nur auf die chemische Zusammensetzung an, auch molekulare Geometrie und Kristallstruktur spielen eine Rolle für ihre Wirkung. Mittels Elektronenbeugung gelang jetzt die Strukturaufklärung des Antiallergikums Levotirizin, wie ein Forschungsteam in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichtet. Der Vorteil dieser Methode: Anders als bei der Röntgenkristallographie reichen Kristalle im Nanomaßstab.
Viele pharmazeutische Substanzen können, auch wenn sie chemisch
identisch sind, verschiedene Kristallstrukturen annehmen oder
Cokristalle mit Hilfsstoffen bilden. Dies kann die Eigenschaften des
Wirkstoffs, wie Bioverfügbarkeit, Löslichkeit, Stabilität und
Tablettierbarkeit, maßgeblich beeinflussen. Entsprechend wichtig sind
strukturelle Aufklärungen bei der Entwicklung fortschrittlicher fester
Darreichungsformen.
Als Standard- und Routine-Methode für die
Bestimmung dreidimensionaler Strukturen kristalliner Moleküle und
biologischer Makromoleküle mit atomarer Auflösung dient heute die
Einkristall-Röntgen-Strukturanalyse (SCXRD). Die Atome des Kristalls
lenken die Röntgenstrahlung so ab, dass ein Beugungsmuster entsteht, aus
dem die Positionen der einzelnen Atome und die Struktur des Kristalls
berechnet werden können. Dafür werden ausreichend große, gut streuende
Einkristalle benötigt. Viele Verbindungen lassen sich jedoch nicht gut
kristallisieren. Eine Alternative ist die Pulver-Röntgenbeugung (PXRD),
bei der die Probe in Form eines Pulvers analysiert werden kann. Die
Datenanalyse ist jedoch nicht einfach. Ist die Probe eine Mischung
mehrerer Phasen derselben oder verschiedener Verbindungen, wird sie sehr
schwierig und liefert oft uneindeutige Ergebnisse.
Eine noch
junge Technik ist die 3D-Elektronenbeugung/Mikrokristall-Beugung (3D
ED/MicroED). Statt Röntgenstrahlen werden Elektronenstrahlen eines
Elektronenmikroskops gebeugt. Da die Wechselwirkungen von Materie mit
Elektronen wesentlich stärker ist als mit Röntgenstrahlen, erzeugen
bereits submikro- bis nanometergroße Kristalle auswertbare
Beugungsmuster und die direkte Analyse von Bestandteilen
mikrokristalliner Mischungen wird möglich.
Das Team um Durga
Prasad Karothu und Pan?e Naumov nutzte die 3D ED/MicroED, um die
Kristallstruktur von Levotirizin-Dihydrochlorid zu bestimmen.
Levocetirizin ist ein rezeptfreies orales Antihistamin zur Behandlung
allergischer Symptome z.B. bei Heuschnupfen und Nesselsucht. Trotz des
breiten Gebrauchs war dessen Kristallstruktur bislang unbekannt, da sich
keine für eine Röntgenkristallographie ausreichenden Kristalle züchten
lassen. Kürzlich wurde die Struktur des Wirkstoffs per
Pulver-Röntgenkristallographie und Computerberechnungen bestimmt – aber
Unklarheiten und Uneindeutigkeiten blieben.
Das Team von der New
York University Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate), der Rigaku
Europe SE (Neu-Isenburg, Deutschland) sowie der New York University (New
York, USA) arbeiteten mit Kriställchen, die sie durch Mahlen
kommerziell erhältlicher Tabletten erhielten. Neben der Aufklärung der
Kristallstruktur des Wirkstoffs gelang es ihnen durch ein spezielles
Auswerteverfahren (Dynamical Refinement), die absolute Konfiguration von
Levotirizin, d.h. die genaue räumliche Anordnung aller Atome innerhalb
des Moleküls, eindeutig zu bestimmen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://onlinelibrary.wiley.com/page/journal/15213757/homepage/press/202320press.html
Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (05/2023)
Publikation: https://doi.org/10.1002/ange.202303761 |