Ursache für extreme nächtliche Luft-Verschmutzung in New Delhi aufgeklärt
PSI-Forschende haben in einem grossen Gemeinschaftsprojekt mit indischen Spitzenforschern geklärt, weshalb in der indischen Hauptstadt New Delhi Smog entgegen allen Regeln der Atmosphärenchemie nachts entsteht. New Delhi gilt seit drei Jahren als die am stärksten verschmutzte Hauptstadt der Welt. Die hohe Luftverschmutzung ist für eine hohe Zahl vorzeitiger Todesfälle verantwortlich. Im Winter erreicht die Feinstaubbelastung Werte von mehr als 500 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Eine Vorstellung von den Dimensionen bekommt man, wenn man diesen Wert mit der chinesischen Hauptstadt Beijing vergleicht. In der smoggeplagten Metropole enthält ein Kubikmeter Luft «nur» 70 Mikrogramm Partikel; in Zürich sind es beispielsweise gerade einmal 10 Mikrogramm pro Kubikmeter.
Woher kommen diese extrem hohen nächtlichen Partikelwerte im Winter
in New Delhi? Dieser Frage ist ein Forschungsteam des Labors für
Atmosphärenchemie am PSI gemeinsam mit lokalen Forschenden, unter
anderem vom Indian Institute of Technology Kanpur (IIT), nachgegangen.
Sie fanden eine aussergewöhnliche Erklärung. «Die chemischen Prozesse,
die nachts in der Luft ablaufen, sind einzigartig in der indischen
Hauptstadt und wurden bisher nirgendwo sonst auf der Welt beobachtet»,
sagt Imad El-Haddad, Atmosphärenchemiker am PSI und einer der Autoren
der Studie. Das Team fand heraus, dass der Auslöser für die hohen
Feinstaubwerte die Dämpfe sind, die bei der Holzverbrennung entstehen.
Das Verbrennen von Holz ist für rund 400 Millionen Menschen in der
indischen Ganges-Tiefebene eine gängige Praxis zum Kochen und Heizen. Da
es dafür keine strengen Beschränkungen gibt, werden auch andere Dinge
als Holz verbrannt, manchmal auch Plastik und andere Abfälle.
Schädliches Gemisch aus Gasen
Bei
solchen Bränden entsteht ein Gasgemisch mit unzähligen chemischen
Verbindungen, beispielsweise Kresol, das unsere Nase als typischen
Brandgeruch wahrnimmt, sowie zuckerähnlichen Molekülen aus der
verbrannten Zellulose im Holz. Diese Moleküle sind mit blossem Auge in
der Luft nicht zu erkennen, auch nicht in hohen Konzentrationen. Mit
Einbruch der Nacht sinkt die Temperatur in New Delhi jedoch so schnell,
dass einige der Gasmoleküle kondensieren und sich innerhalb weniger
Stunden zu Partikeln von bis zu 200 Nanometern zusammenballen, die als
grauer Dunst wahrgenommen werden können. «Die Kondensation von einem Gas
zur Partikelphase ähnelt der Bildung von Wassertröpfchen auf
Küchenoberflächen, wenn man kocht. Die Partikel in der Atmosphäre wirken
wie grosse Oberflächen, an denen Gase kondensieren können», sagt Lubna
Dada, Atmosphärenwissenschaftlerin am PSI und eine der Autorinnen der
Studie.
Dieser Prozess ist ganz anders als an anderen Orten, etwa
in Beijing. Sie ist wahrscheinlich die am besten untersuchte Megacity
der Welt, was die Luftverschmutzung angeht. In der Atmosphäre der
chinesischen Hauptstadt folgt die Partikelbildung anderen Wegen. In
China reagieren die Gase aus Emissionen von Verkehr und der Verbrennung
von Holz tagsüber in der Atmosphäre, wenn sie dem Licht ausgesetzt sind.
Das führt zur Bildung von weniger flüchtigen Arten von Dampf, die
während des Dunstes Partikel bilden können. Ein solcher Weg wäre auch in
New Delhi zu erwarten, aber das Gegenteil ist der Fall. Die
Dunstbildung aus der Kondensation direkt emittierter Dämpfe erfolgt dort
nachts ohne Photooxidation, angetrieben durch erhöhte Emissionen in
Verbindung mit einem starken Temperaturrückgang. «Wir haben zum ersten
Mal gezeigt, dass halbflüchtige Gase nachts solche Partikel bilden
können und zur Dunstbildung beitragen», fügt Imad El Haddad hinzu.
Woher kommt der Smog?
Die
Messungen wurden im Januar und Februar 2019 durchgeführt. Dazu
richteten die Forschenden aus Indien, Schweden und der Schweiz im
Zentrum von New Delhi eine Station mit Messgeräten ein, darunter
Instrumente zur Bestimmung der Anzahl und Grösse sowie der chemischen
Zusammensetzung der Partikel. Die eingesetzten Massenspektrometer sind
sehr empfindlich und detektierten Tausende unterschiedliche Moleküle in
der Luft von New Delhi, wobei die Partikelkonzentrationen teilweise
Hunderttausende Partikel in der Luft im Volumen eines Zuckerwürfels
erreichten. Einige der Instrumente stammten vom PSI, andere von Partnern
wie dem Indian Institute of Technology Kanpur und der Universität
Stockholm. Es gab auch eine zweite abgespeckte Messstation in der Stadt,
um zu überprüfen, ob die Partikelbildung ein regionales Phänomen ist.
Der Beitrag der Schweiz wurde von der Direktion für Entwicklung und
Zusammenarbeit DEZA finanziert.
Bis zur Veröffentlichung in
Nature Geoscience dauerte es vier Jahre, in denen die Daten analysiert
und begutachtet wurden. In dieser Zeit haben vier Gruppen mit
unterschiedlichem Fachwissen aus dem Labor für Atmosphärenchemie des PSI
unter der Leitung von Imad El Haddad, André Prévôt, Claudia Mohr und
Kaspar Dällenbach dazu beigetragen, diese Arbeit zu realisieren.
«Zurzeit läuft eine umfangreichere Messkampagne, bei der ein ganzes Jahr
lang Proben an zehn Orten, fünf davon in New Delhi selbst und fünf
weitere in der Umgebung, gesammelt und später in unserem Labor gemessen
und analysiert werden», sagt André Prévôt, der Leiter der Studie. Die
Veränderungen der Luftqualität an den verschiedenen Standorten über
einen langen Zeitraum hinweg lassen Rückschlüsse auf die weiteren
Quellen der Luftverschmutzung zu. «Mein Wunsch wäre es, mit unserem
mobilen Labor durch die Strassen Indiens zu fahren, um die lokalen
Verschmutzungsquellen wie verschiedene Arten der Verbrennung fester
Brennstoffe, industrielle und andere Emissionen mit sehr hoher
räumlicher Auflösung zu charakterisieren», fügt Prévôt hinzu.
Das
Bewusstsein für die Schwere der Luftverschmutzung in Indien hat
zugenommen und das Land hat ein ehrgeiziges Programm für saubere Luft
initiiert. In dem von der Schweizer Direktion für Entwicklung und
Zusammenarbeit finanzierten Projekt haben sich die PSI-Forschenden mit
lokalen Forschenden zusammengetan und ihr Wissen in beide Richtungen
geteilt, um die Quellen der Luftverschmutzung zu ermitteln. «Wir haben
jedoch noch einen langen Weg vor uns, um die Luftqualität zu verbessern,
denn das setzt soziale Veränderungen und ein allgemeines öffentliches
Bewusstsein voraus», so El Haddad.
Publikation: Rapid night-time nanoparticle growth in Delhi driven by biomass-burning emissions Suneeti
Mishra, Sachchida Nand Tripathi, Vijay P. Kanawade, Sophie L. Haslett,
Lubna Dada, Giancarlo Ciarelli, Varun Kumar, Atinderpal Singh, Deepika
Bhattu, Neeraj Rastogi, Kaspar R. Daellenbach, Dilip Ganguly, Prashant
Gargava, Jay G. Slowik, Markku Kulmala, Claudia Mohr, Imad El-Haddad,
Andre S. H. Prevot Nature Geoscience, 9. March 2023 DOI: 10.1038/s41561-023-01138-x