Schnell auch im Nanometerbereich – Durchbruch in der hochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie
Wissenschaftler*innen um Nobelpreisträger Stefan Hell am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg haben ein superauflösendes Mikroskop mit einer räumlich-zeitlichen Genauigkeit von einem Nanometer pro Millisekunde entwickelt. Es ist eine verbesserte Version der kürzlich von der Gruppe um Hell eingeführten MINFLUX-Mikroskopie. Das hochauflösende Mikroskop macht es möglich, winzige Bewegungen einzelner Proteine detaillierter zu beobachten als je zuvor. In dieser Studie untersuchten sie die Schrittbewegung des Motorproteins Kinesin-1, wie es entlang von Mikrotubuli durch die Zelle wandert. Die Ergebnisse unterstreichen das Potenzial von MINFLUX als revolutionäres neues Werkzeug zur Beobachtung von Konformationsänderungen in Proteinen im Nanometerbereich.
Um die Geschehnisse innerhalb einer Zelle zu entschlüsseln, müssen
wir die Biochemie einzelner Proteine verstehen. Dabei ist die Messung
kleinster Lage- und Formänderungen eine der größten Herausforderungen.
Fluoreszenzmikroskopie, insbesondere superauflösende Mikroskopie (d.h.
Nanoskopie), ist bei dieser Forschung unverzichtbar geworden. MINFLUX,
eines der jüngsten Fluoreszenz-Nanoskopie-Verfahren, hat bereits eine
räumliche Auflösung von einem bis zu wenigen Nanometern erreicht: die
Größe kleiner organischer Moleküle. Aber um unser Verständnis der
molekularen Zellphysiologie voranzutreiben, sind Beobachtungen mit noch
höherer räumlich-zeitlicher Auflösung erforderlich.
Die Leistungsfähigkeit von MINFLUX maximieren
Als
die Gruppe um Stefan Hell 2016 erstmals MINFLUX vorstellte, konnte man
damit bereits fluoreszenzmarkierte Proteine in Zellen verfolgen. Die
Bewegung der Proteine waren jedoch zufällig, und die Genauigkeit der
Messungen lag in einer Größenordnung von zehn Nanometern. Die diese
Woche in Science veröffentlichte Studie ist die erste, die das bisher
unerreichte raumzeitliche Auflösungsvermögen von MINFLUX auf
Konformationsänderungen von Proteinen, insbesondere des Motorproteins
Kinesin-1, anwendet. Dazu entwickelten die Wissenschaftler*innen am
Heidelberger MPI für medizinische Forschung eine neue MINFLUX-Version,
um einzelne fluoreszierende Moleküle in Bewegung zu beobachten.
Bisher
genutzte Methoden zur Messung von Proteindynamiken sind stark
eingeschränkt in ihrer Fähigkeit, den entscheidenden (Sub-)Nanometer- /
(Sub-)Millisekunden-Bereich zu erfassen. Einige bieten eine hohe
räumliche Auflösung von bis zu wenigen Nanometern, können Änderungen
jedoch nicht schnell genug verfolgen. Andere haben eine hohe zeitliche
Auflösung, erfordern aber eine Markierung mit lichtstreuenden Kügelchen
(Beads) aus Gold, Germanium oder Latex, die zwei bis drei
Größenordnungen größer sind als das zu untersuchende Protein selbst.
Dadurch wird die Funktion des Proteins unter Umständen so stark
beeinflusst, dass man nicht sicher sein kann, die tatsächliche
Proteinfunktion zu beobachten. Für MINFLUX hingegen muss dagegen nur ein
herkömmliches Fluoreszenzmolekül mit einer Größe von ca. 1 Nanometer an
das Protein gebunden werden. So kann MINFLUX die hohe Auflösung
erreichen, während es die Proteinfunktion so gut wie nicht stört. Das
ist für die Untersuchung der Bewegung nativer Proteine unabdingbar.
„Ein vom Rauschen aus der Umgebung abgeschirmtes MINFLUX-Mikroskop,
welches nah an der theoretischen Grenze arbeitet, ist die eine
Herausforderung“, sagt Otto Wolff, Doktorand in der Gruppe. „Und die
Experimente so durchzuführen, dass sie die Proteinfunktion nicht
beeinflussen und dennoch den biologischen Mechanismus zeigen können, ist
eine zweite“, ergänzt sein Kollege Lukas Scheiderer.
Das von der
Gruppe nun vorgestelltes MINFLUX-Mikroskop kann Proteinbewegungen mit
einer raum-zeitlichen Genauigkeit von bis zu 1,7 Nanometern pro
Millisekunde aufzeichnen. Dafür braucht das Mikroskop nur etwa 20 vom
fluoreszierenden Molekül emittierte Photonen zu detektieren.
„Ich
bin sicher, wir sind dabei ein neues Kapitel aufzuschlagen, und zwar in
der Erforschung der Bewegungen und Formveränderungen einzelner
Proteinmoleküle“, sagt Stefan Hell. „Die Kombination aus hoher
räumlicher und zeitlicher Auflösung, die MINFLUX bietet, wird es
Wissenschaftlern ermöglichen, Biomoleküle so zu untersuchen, wie es
zuvor nicht möglich war.“
Auflösung der Schrittbewegung von Kinesin-1 mit ATP unter physiologischen Bedingungen
Kinesin-1
spielt eine Schlüsselrolle beim Transport von Fracht durch unsere
Zellen, und Mutationen des Proteins sind die Ursache mehrerer
Krankheiten. Kinesin-1 „schreitet“ an Filamenten (den Mikrotubuli)
entlang, die unsere Zellen wie ein Netz von Straßen durchspannen. Man
kann sich die Bewegung buchstäblich als „Schritt“ vorstellen, da das
Protein zwei „Füße“ hat, die in der Fachliteratur allerdings „Köpfe“
genannt werden, die abwechselnd ihre Position auf den Mikrotubuli
wechseln. Diese Bewegung erfolgt normalerweise entlang eines der 13
Protofilamente, die die Mikrotubuli bilden. Das Voranschreiten dieser
„Köpfe“ wird dabei durch die Spaltung des Hauptenergielieferanten der
Zelle ATP (Adenosintriphosphat) angetrieben.
Die
Wissenschaftler*innen markierten Kinesin-1 mit nur einem einzigen
Fluoreszenzmolekül, und zeichneten so die regulären ca. 16 Nanometer
weiten Schritte der einzelnen Köpfe auf, als auch Unterschritte dieses
Schreitprozesses, die bisher nicht beobachtet werden konnten. Dabei lag
die räumlich-zeitliche Auflösung im Bereich von Nanometern pro
Millisekunde. Ihre Ergebnisse zeigen, dass ATP aufgenommen wird, während
nur ein einzelner Kopf an die Mikrotubuli gebunden ist. Dagegen findet
die ATP-Hydrolyse statt, während beide Köpfe gebunden sind. Es wurde
beobachtet, dass sich der „Stiel“ des Proteins während eines Schrittes
dreht. Dies ist der Teil des Kinesin-Moleküls, der die Fracht hält.
Durch die hohe räumliche und zeitliche Auflösung von MINFLUX wurde auch
eine Rotation des Kopfes in der Anfangsphase jedes Schrittes sichtbar.
Die Messungen wurden mit physiologischen ATP-Konzentrationen gemacht,
was bisher nicht möglich war.
Zukünftiges Potenzial in der Erforschung von Proteinbewegungen
„Ich
bin gespannt, wohin uns MINFLUX noch führen wird. Es fügt der
Erforschung der Funktionsweise von Proteinen eine weitere Dimension
hinzu. Das kann uns helfen, die molekularen Mechanismen hinter vielen
Krankheiten zu verstehen und letztendlich zur Entwicklung von Therapien
beitragen“, fügt Jessica Matthias hinzu, eine ehemalige Postdoktorandin
in Stefan Hell’s Gruppe, die nun in einer Ausgründung des Max Planck
Instituts die Anwendung von MINFLUX auf eine Vielzahl biologischer
Fragestellungen erforscht.
Quelle: Max-Planck-Institut für medizinische Forschung (03/2023)
Publikation: Jan O. Wolff, Lukas Scheiderer, Tobias Engelhardt, Johann Engelhardt, Jessica Matthias, Stefan W. Hell MINFLUX dissects the unimpeded walking of kinesin-1 https://www.science.org/doi/10.1126/science.ade2650