Neue Erkenntnisse über das bakterielle Immunsystem
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist die besonders schnelle evolutionäre Anpassungsfähigkeit von Mikroorganismen wie Bakterien oder Viren in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Wenn beispielsweise Viren die Fähigkeit zur Infektion neuer Wirtslebewesen hervorbringen oder Bakterien Antibiotikaresistenzen entwickeln, erlaubt ihnen unter anderem die Aufnahme neuer Erbinformationen von anderen Mikroorganismen die schnelle Ausprägung evolutionär vorteilhafter Eigenschaften. Dabei nehmen Bakterien fremde DNA zum Beispiel auf dem Weg des sogenannten horizontalen Gentransfers auf, der deutlich schneller abläuft als die vertikale Vererbung von Generation zu Generation.
Jedes Lebewesen geht durch die Aufnahme fremder Erbinformationen
jedoch auch Risiken ein, denn diese könnten potenziell gefährlich sein,
wenn beispielsweise durch Integration in das eigene Chromosom wichtige
Gene geschädigt werden und so große Nachteile für den Organismus
insgesamt entstehen. Bakterien haben daher zahlreiche Mechanismen
entwickelt, die sie vor der Aufnahme schädlicher DNA schützen können.
Viele der beteiligten molekularen Prozesse in den vergangenen Jahren
entdeckt, so dass erst in jüngerer Zeit der Begriff des bakteriellen
Immunsystems geprägt wurde. Ein Team aus der Arbeitsgruppe Mikrobielle
Biochemie und Zellbiologie am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun die Funktion eines
neuen Abwehrmechanismus aufgeklärt, der bestimmte unabhängige und
mobile DNA-Strukturen, sogenannte Plasmide, in Bakterienzellen
identifizieren und gegebenenfalls abbauen kann – und dabei zwischen
nützlichen und schädlichen Erbinformationen unterscheidet. Am Beispiel
des Bakteriums Corynebacterium glutamicum konnten die Forschenden
zeigen, dass das sogenannte Mks-Proteinsystem ein zusätzliches Element
besitzt, dass an Plasmid-DNA binden und diese zerschneiden kann.
Proteine zur DNA-Organisation können auch Plasmide abwehren
Plasmide
sind kleine, in der Regel ringförmige, doppelsträngige DNA-Moleküle,
die sich unabhängig vom Chromosom in ihrer Wirtszelle vervielfältigen
können. Sie spielen eine bedeutende Rolle für die Ökologie und Evolution
von Bakterien, da sie als wichtiges Vehikel des horizontalen
Gentransfers die schnelle Weitergabe von Erbinformationen und damit die
Ausprägung von Selektionsvorteilen ermöglichen. Prinzipiell können alle
Bakterien auch über Artgrenzen hinweg Plasmide untereinander
austauschen. Dies geschieht direkt von Bakterium zu Bakterium über eine
als Konjugation bezeichnete Übertragung. Solche Brücken zwischen den
Bakterienzellen können dabei sowohl vorteilhafte, wie auch nachteilige
Plasmide zum Wechsel von einem Bakterium zum anderen nutzen.
„Wie
der bakterielle Organismus mit fremder DNA aus neu übertragenen
Plasmiden umgeht, wurde bisher wenig erforscht“, betont Manuela Weiß,
Doktorandin Bramkamps Arbeitsgruppe. „In vorangegangenen
Forschungsarbeiten haben wir Systeme untersucht, die allgemein an der
Organisation der DNA in Bakterienzellen beteiligt sind und unter anderem
für die Verpackung der Erbinformationen in die komprimierte Form der
Chromosomen sorgt“, so Weiß weiter. In diesem Zusammenhang erlangte das
Forschungsteam erste Hinweise, dass das Corynebacterium glutamicum zwei
solcher Systeme besitz, wobei eines nicht an der Organisation des
Chromosoms beteiligt ist, sondern die Vermehrung bestimmter Plasmide
verhindern kann, allerdings war der dafür verantwortliche Mechanismus
bisher unbekannt.
Nun haben die Kieler Forschenden gemeinsam mit
Expertinnen und Experten um Dr. Anne Marie Wehenkel vom Pariser Institut
Pasteur in einer Strukturuntersuchung die DNA-Schere des Mks-Systems
entdeckt. „Wir konnten experimentell belegen, dass diese neue
Untereinheit des Mks-Systems ein bestimmtes Protein bildet, eine
sogenannte Nuklease, die DNA schneiden kann. Diesem Element kommt die
Aufgabe zu, Plasmide abzubauen, um so schädliche DNA von der
Bakterienzelle fernhalten, während die anderen Komponenten des Mks
Systems für die Erkennung der Plasmid-DNA wichtig sind“, fasst Weiß
zusammen.
Unterscheidung zwischen nützlichen und schädlichen Plasmiden
Anschließend
gingen die Forschenden der Beobachtung nach, dass das Mks-System
offenbar nur bestimmte Plasmide abbaut und es daher mit einem
Selektionsmechanismus verbunden sein muss. Ein wichtiger Vorteil dabei
ist, dass in Bramkamps Arbeitsgruppe mit dem Bakterium C. glutamicum an
einem Organismus geforscht wird, der dieses System natürlicherweise
besitzt. Seine Funktionen können also darin in vivo untersucht werden,
ohne dass seine zellbiologischen Eigenschaften durch die Übertragung in
ein Modellsystem verändert werden. „Bakterien brauchen bestimmte
Plasmide als Quelle neuer, nicht unmittelbar lebensnotwendiger
Erbinformationen. Daher liegt es auf der Hand, dass ein
Abwehrmechanismus selektiv vorgehen muss und nicht alle Plasmide
zerstört“, betont Bramkamp. „Wir konnten belegen, dass in C. glutamicum
tatsächlich eine gerichtete Unterscheidung nach vorteilhaften und
nachteiligen Erbinformationen stattfindet. Wenn wir das Mks-System
künstlich ausgeschalteten und damit alle Plasmide in den Bakterienzellen
erhalten blieben, zeigten sich schädliche, möglicherweise durch
DNA-Stress ausgelöste Auswirkungen auf die Zelle. Diese traten jedoch
nicht auf, wenn der Abwehrmechanismus aktiv war“, so Bramkamp weiter.
Mit
der aktuellen Arbeit legen die Kieler Forschenden insgesamt wichtige
neue Erkenntnisse über das bakterielle Immunsystem vor, die das
Verständnis der Plasmide als Vermittler nicht nur vorteilhafter, sondern
auch schädlicher Erbinformationen erweitern. In Zukunft wolle man
untersuchen, welche molekularen Mechanismen den Bakterienzellen die
Unterscheidung zwischen „guter“ und „schlechter“ DNA erlauben. Die neuen
Ergebnisse seien nicht nur für das allgemeine Verständnis der
Organisation und Vermehrung bakteriellen Lebens von Bedeutung. Die immer
genauere Untersuchung des bakteriellen Immunsystems könne auch dabei
helfen, angewandten Herausforderungen besser zu begegnen – und etwa die
Evolution von Antibiotikaresistenzen in bestimmten Bakterienpopulationen
künftig besser modellieren und vorhersagen zu können, blickt Bramkamp
voraus.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (03/2023)
Publikation: Manuela
Weiß, Giacomo Giacomelli, Mathilde Ben Assaya, Finja Grundt, Ahmed
Haouz, Feng Peng, Stéphanie Petrella, Anne Marie Wehenkel and Marc
Bramkamp (2023): The MksG nuclease is the executing part of the
bacterial plasmid defense system MksBEFG. Nucleic Acids Research DOI: 10.1093/nar/gkad130