Mit Elektronenmikroskopie ultraschnelle Filme von Nano-Prozessen erstellen
Eine Zeitlupe im Sportfernsehen zeigt Abläufe in Hundertstel-Sekunden-Schritten. Vorgänge auf der Nanoskala laufen hingegen im sogenannten Femtosekunden-Bereich ab: Nur Milliardstel-Sekunden braucht zum Beispiel ein Elektron, um ein Wasserstoff-Atom zu umkreisen. Physikerinnen und Physiker weltweit forschen mit speziellen Instrumenten daran, solche ultraschnellen Nano-Prozesse in Filmen festzuhalten. Forschende der Universität Kiel haben eine neue Methode für solche Filme entwickelt. Sie basiert auf einem anderen physikalischen Konzept als bisher und erlaubt damit weitere und präzisere Untersuchungsmöglichkeiten. Dafür kombinierten sie ein Elektronenmikroskop mit nanostrukturierten dünnen Metallschichten, die sehr kurze Lichtpulse erzeugen. So konnten sie in einem ersten Experiment kohärente Wechselwirkungen von Licht und Elektronen in einem Halbleiter filmisch dokumentieren.
Einfachere und kostengünstigere Methode als bisher
Bisher wurden
Filme von ultraschnellen Nano-Prozessen in der Regel mit
Hochleistungslasern erzeugt, kombiniert mit Elektronenmikroskopen. Doch
die großen und komplexen Aufbauten können sich nur wenige
Forschungsgruppen leisten. „Unser Konzept für Elektronenmikroskope kommt
ohne teure und komplizierte Laser aus und kann leicht nachgebaut
werden“, sagt Nahid Talebi, Professorin für Experimentalphysik an der
CAU.
In Elektronenmikroskopen werden Elektronen zu einem Strahl
gebündelt, beschleunigt und auf eine Materialprobe gerichtet.Wie die
Elektronen die Probe durchdringen oder von ihr reflektiert werden, lässt
Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Materials und die ablaufenden
Prozesse im Inneren zu. „Elektronenmikroskope haben eine deutlich
bessere räumliche Auflösung als optische Mikroskope und machen
Untersuchungen im Nanometerbereich erst möglich“, erläutert Talebi. Mit
den speziellen Bauteilen, die sie entwickelt hat, lässt sich auch die
zeitliche Auflösung von Elektronenmikroskopen relativ einfach
verbessern. So kann sie jetzt sogar ohne Laser ultraschnelle
Nano-Prozesse auf der Femtosekunden-Zeitskala filmisch festhalten.
Mit
ihrer aktuellen Publikation demonstriert Talebi nicht nur, dass ihre
Methode funktioniert. Gemeinsam mit ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter
Dr. Masoud Taleb liefert sie auch den experimentellen Nachweis für
kohärente Wechselwirkungen von Lichtteilchen (Photonen) und Elektronen
in einem Halbleiter, die bisher nur theoretisch beschrieben worden
waren. Das dafür genutzte Quantenmaterial Wolfram-Diselenid, WSe2,
stammt aus einer Kooperation mit Professor Kai Rossnagel im Rahmen des
Forschungsschwerpunkts KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science)
der CAU.
"Nanosieb" erzeugt die benötigten kurzen Lichtpulse
Ein
zentraler Baustein von Talebis Konzept ist ein spezielles „Nanosieb“,
das sich in ein Elektronenmikroskop einsetzen lässt und dort wie eine
Lichtquelle funktioniert. Trifft ein Elektronenstrahl darauf, erzeugt
das Lochmuster zielgerichtete, kurze Lichtpulse, mit denen sich die
schnellen Filme letztendlich erstellen lassen. Dafür bohrten die
Forschenden in eine dünne Goldfolie winzige Löcher von 25 bis 200
Nanometern Durchmesser. Die Größe und Abstände hatte Talebi exakt
berechnet, denn die Lichtpulse entstehen nur bei einem bestimmten
Muster. Hergestellt wurden die „Nanosiebe“ in enger Zusammenarbeit mit
Dr. Mario Hentschel aus der Arbeitsgruppe von Prof. Harald Giessen,
Universität Stuttgart. Mit Kolleginnen und Kollegen aus Amsterdam hatte
Talebi das Elektronenmikroskop vorher so umgebaut, dass es sogenannte
Kathodolumineszenzen aufnehmen kann – Lichtsignale, die entstehen, wenn
schnelle Elektronen auf Metall treffen.
Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Photonen filmisch dokumentiert
In
dem Experiment, das in der aktuellen Publikation beschrieben wird,
treffen die kurzen Lichtpulse aus den siebartigen Nanostrukturen mit
Lichtgeschwindigkeit auf die Wolfram-Diselenid-Probe. Dort regen sie
Exzitonen an, sogenannte Quasiteilchen. Das sind Elektronen, die sich
aus einem Atom gelöst haben, aber mit dem dort entstandenen Loch
weiterhin in Verbindung stehen („Elektronen-Loch-Paare“). „Wenn kurze
Zeit später auch der etwas langsamere Elektronenstrahl auf die
Halbleiter-Probe trifft, können wir an der Reaktion der Elektronen
ablesen, wie sich die Exzitonen in der Zwischenzeit verhalten haben“,
erklärt Talebi. Aus der Überlagerung des Elektronenstrahls und der
Lichtpulse entstehen Kathodolumineszenz-Signale, die eine kohärente
Wechselwirkung zwischen Elektronen und Photonen zeigen.
Um diese
Prozesse in einem Film festhalten zu können, setzten die Forschenden
schließlich noch einen piezoelektrischen Kristall in den Mikroskopaufbau
ein. Damit können sie den räumlichen Abstand zwischen der Lichtquelle
und der Untersuchungsprobe präzise verändern und somit auch den
zeitlichen Abstand, mit dem der Elektronenstrahl und die Lichtpulse auf
die Probe treffen. „Wir können so zu verschiedenen Zeitpunkten des
Prozesses Bilder aufnehmen und zu einem Film zusammensetzen“, fasst
Talebi zusammen.
Langjährige Vorarbeiten
An einem Konzept für
Femtosekunden-Filme mit dem Elektronenmikroskop, die keinen Laser
benötigen, forschte Talebi schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Für ihr
Vorhaben, Elektronenmikroskope mit Licht zu kombinieren und so ihre
zeitliche Auflösung zu verbessern, erhielt die Theoretische und
Experimentalphysikerin einen ERC-Starting Grant des Europäischen
Forschungsrats (European Research Council, ERC) in Höhe von 1,5
Millionen Euro. Seit 2019 realisiert sie das Projekt in ihrer eigenen
Arbeitsgruppe zur „Nano-Optik“ an der CAU. Das relativ junge
Forschungsgebiet beschäftigt sich unter anderem mit den Wechselwirkungen
von Licht und Materie im Nanobereich. Ein besseres Verständnis davon
hat zum Beispiel bereits besonders effiziente Quanten-Lichtquellen
ermöglicht, mit denen sich in optischen Schaltkreisen verschlüsselte
Informationen sicher übertragen lassen.
Publikation: M.
Taleb, M. Hentschel, K. Rossnagel, H. Giessen, N. Talebi, „
Phase-locked photon-electron interaction without a laser”, Nature
Physics (2023). DOI: 10.1038/s41567-023-01954-3, https://www.nature.com/articles/s41567-023-01954-3