Extreme Artenarmut Stickstoff-umwandelnder Mikroben in europäischen Seen |
Ein internationales Forschungsteam unter Führung Braunschweiger Mikrobiologen vom Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH zeigt, dass in den Tiefen europäischer Seen die Entgiftung von Ammonium von einer extrem geringen Biodiversität von Archaebakterien abgesichert wird. Die Forschenden veröffentlichten ihre Ergebnisse jetzt in der international renommierten Fachzeitschrift Science Advances. Ein internationales Forschungsteamteam unter Leitung von Umweltmikrobiologen des Leibniz-Instituts DSMZ konnte nachweisen, dass weltweit die Artenvielfalt dieser Archaea in Seen im Schnitt nur wenige (1 bis maximal 15) Arten beträgt. Gerade im Kontext des weltweiten Artenschwunds und der deswegen im Dezember 2022 in Montreal, Kanada stattgefundenen UN Biodiversitätskonferenz ist das besorgniserregend.
Seen sind wichtig für die Trinkwasserversorgung und die
Binnenfischerei und haben als Naherholungsgebiete auch eine große
gesellschaftliche Bedeutung. Eine Akkumulation von Ammonium würde diese
Ökosystemdienstleistungen gefährden. Gleichzeitig ist Ammonium ein
wichtiger Bestandteil landwirtschaftlicher Düngemittel, weshalb die
Konzentrationen in der Umwelt dramatisch zugenommen hat und der globale
Stickstoffkreislauf aus dem Gleichgewicht geraten ist. Nährstoffarme
Seen mit großen Wasserkörpern - wie der Bodensee und viele andere
voralpine Seen - beherbergen in ihrer Tiefe enorm große Populationen von
Archaea, einer speziellen Gruppe von Mikroorganismen. Diese Archaea
wandeln Ammonium zu Nitrat um, das in Sedimenten und anderen
sauerstoffarmen Habitaten weiter in harmloses N2 – Stickstoff ist
Hauptbestandteil der Luft – umgewandelt wird. Sie tragen somit zur
Entgiftung von anfallendem Ammonium in Gewässern bei. In europäischen
Seen ist die dominierende Art sogar hochgradig klonal und weist kaum
genomische Mikrodiversität über etliche Seen auf. Diese Artenarmut macht
die Stabilität der Ökosystemdienstleistung dieser
Stickstoff-umwandelnden Archaea potentiell anfällig gegen
Umwelt-veränderungen und steht im Gegensatz zu marinen Ökosystemen, in
denen eine viel höherer Artenvielfalt dieser Gruppe von Mikroorganismen
vorherrscht.
Aufrechterhaltung der TrinkwasserqualitätUnser
Planet ist zu einem Großteil mit Wasser bedeckt, jedoch sind davon nur
2,5 Prozent Süß-wasser. Um die 80 Prozent dieses Süßwassers stehen uns
Menschen gar nicht zur Verfügung, da es (noch) in Gletschern und den
Polkappen gespeichert ist. In der Europäischen Union stammen etwa 36
Prozent des Trinkwassers aus Oberflächengewässern. Daher ist es wichtig
zu verstehen, wie diese Ökosystemleistung durch Umweltprozesse wie die
mikrobielle Nitrifikation aufrechterhalten wird. Die Nitrifikation
verhindert eine Akkumulation von Ammonium und wandelt es über Nitrit zu
Nitrat um, wobei die Ammoniumoxidation der geschwindigkeitsbestimmende
Schritt ist. Das verhindert eine Ammoniumverschmutzung von Gewässern und
ist Voraussetzung für seine letztendliche Umwandlung zu harmlosem
Stickstoff. Die aktuelle Studie untersuchte die Biodiversität und
Entwicklungsgeschichte der Ammonium-oxidierenden Archaea in tiefen Seen
über fünf Kontinente hinweg. Die Besiedlung der Süßgewässer fand immer
aus marinen Habitaten statt. Allerdings mussten diese Archaea dabei ihre
Zellzusammensetzung aufgrund der wesentlich geringeren
Salzkonzentrationen in Süßgewässern stark verändern, was nur wenige Male
im Laufe der Evolution gelang. Die Forschenden identifizierten diesen
Selektionsdruck als wichtigsten Flaschenhals für eine Besiedlung von
Süßgewässern durch eine breitere Vielfalt an Ammonium-oxidierenden
Archaea, so wie sie in marinen Habitaten vorzufinden ist. Die
Forschenden konnten auch den Zeitpunkt der Entstehung der wenigen
Süß-wasser-Archaea identifizieren. So entwickelte sich die dominierende
Archaea-Art in europäischen Seen erst vor ungefähr dreizehn Millionen
Jahren, was ausgesprochen gut mit der Entstehungsgeschichte der
untersuchten europäischen Seen überlappt.
Gebremste Evolution der Süßwasser-ArchaeaVerblüfft
hat die Forschenden die Tatsache, dass sich die in Europa
vorherrschende Süßwasser-Art über dreizehn Millionen Jahren kaum
verändert hat und praktisch klonal über Europa bis nach Asien hinein
verbreitet ist. Derzeit gibt es nur wenige Beispiele für ein solches
Innehalten der Evolution über so lange Zeiträume und so große,
Kontinent-übergreifende Verbreitungs-räume. Die Autoren vermuten die
niedrigen Temperaturen (4° C) in den Tiefen der untersuchten Seen als
die wichtigste Kraft, die hohen Wachstumsraten und damit einhergehenden
evolutionären Veränderungen entgegenwirkt. Diese Archaea sind somit in
einem Zustand geringer genetischer Diversität gefangen. Da die
Auswirkungen des Klimawandels in Süßgewässern ausgeprägter sind als in
marinen Habitaten, was mit einem Verlust an Biodiversität einhergeht,
bleibt unklar wie die extrem artenarmen und evolutionär statischen
Süßwasser-Archaea auf Veränderungen durch die globale Klimaerwärmung und
Überdüngung angrenzender landwirtschaftlicher Nutzflächen reagieren
werden.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.dsmz.de/press/press-releases/singleview/extreme-artenarmut-stickstoff-umwandelnder-mikroben-in-europaeischen-seen
Quelle: Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH (01/2023)
Publikation: Ngugi
DK, Salcher MM, Andre A-S, Ghai R., Klotz F, Chiriac M-C, Ionescu D,
Büsing P, Grossart H-S, Xing P, Priscu JC, Alymkulov S, Pester M. 2022.
Postglacial adaptations enabled coloniza-tion and quasi-clonal dispersal
of ammonia oxidizing archaea in modern European large lakes. Science
Advances: https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adc9392 |