Wie stellen Pflanzen scharfe Substanzen her? Am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) beschäftigt man sich intensiv mit diesem Thema. Jüngst haben Wissenschaftler/innen um Dr. Thomas Vogt das entscheidende Enzym gefunden, das den Früchten der Pfefferpflanze (lat. Piper nigrum) zu ihrer charakteristischen Schärfe verhilft. Das entdeckte Enzym, die Piperinsynthase, katalysiert den finalen Schritt der Biosynthese des scharfschmeckenden Piperins. Nun haben die Biochemiker mit einem zweiten Scharfstoff nachgelegt und auch die Biosynthese von Capsaicin aus der Chilischote (Capsicum spec.) näher beleuchtet. Erstmals beschreibt seine Arbeitsgruppe die enzymatische Aktivität der lange gesuchten Capsaicinsynthase. Das Enzym katalysiert den letzten Reaktionsschritt der pflanzlichen Capsaicinproduktion.
Piperin und Capsaicin binden auf Zunge und Schleimhäuten an genau
den Rezeptor, der auch auf Hitze, Säuren oder Verletzung reagiert.
Dieser Rezeptor löst in bestimmten Nervenzellen einen Reiz aus, den der
Mensch als Schärfe empfindet. Capsaicin und Piperin wirken zudem
antimikrobiell sowie verdauungs- und durchblutungsfördernd. Sie sind
daher nicht nur als Scharfmacher interessant, sondern auch als
Wirkstoffe für medizinische Anwendungen. „Man findet in der Literatur
der letzten Jahre hunderte Studien zur biologischen Wirkung von Pfeffer-
und Chili-Extrakten, aber nur sehr wenige zur Biosynthese der scharfen
Substanzen“, erklärt Thomas Vogt, der am IPB die Arbeitsgruppe
Phenylpropanstoffwechsel leitet.
Das mag daran liegen, dass die
Aufklärung von pflanzlichen Biosynthesewegen verschiedener Expertisen
bedarf, die in dieser Kombination nur an wenigen Forschungsinstituten
vorhanden sind. Idealerweise ziehen Chemiker, Biochemiker und
Bioinformatiker an einem Strang, um aus den hunderten Enzymen einer
Pflanze jene Handvoll Kandidaten zu fischen, die an der Produktion eines
gesuchten Stoffes beteiligt sind. Diese Suche nach einzelnen Enzymen
ist vor allem bei jenen Pflanzenarten schwierig, von denen die meisten
Gene und Enzyme noch unbekannt sind. „Denn hier“, sagt Thomas Vogt,
„kann man die Datenbanken nur begrenzt zu Rate ziehen.“
Auch beim
Pfeffer war die Datenlage dünn und es gab weitere Hürden. So mussten
die Hallenser Wissenschaftler zunächst Pfefferpflanzen heranziehen und
vor allem dafür sorgen, dass sie Früchte tragen. „Das ist bei Pfeffer,
der im Gewächshaus wächst, nicht selbstverständlich“, erklärt der
Biochemiker, „aber den Gärtnern am Institut ist es gelungen.“ Mit
erfolgreicher Anzucht der Pflanzen konnte das Forscherteam in einem
Zeitraum von drei Monaten Pfefferbeeren in verschiedenen Reifestadien
ernten und hier genau beobachten, wie deren Piperingehalt stetig
ansteigt. In den reifenden Beeren, so die These der Wissenschaftler,
sollten demnach auch die Enzyme zu finden sein, die das Piperin bilden.
Die Blätter der Pflanze hingegen dürften die Piperinbiosynthese-Enzyme
nicht enthalten, denn sie produzierten kein Piperin und schmecken daher
auch nicht scharf.
Diese Differenzen im Piperingehalt, also im
Vorhanden- und Nichtvorhandensein der Piperinbiosynthese-Enzyme machten
sich die Wissenschaftler zunutze. Unter der Prämisse, dass ein Enzym in
bestimmten Geweben nur dann vorhanden ist, wenn sein Gen aktiviert ist
und abgelesen wird, verglichen sie die Genaktivitäten in Blättern und
Früchten verschiedener Reifegrade miteinander. So konnten sie jene Gene
identifizieren, die in den unreifen Früchten besonders aktiv sind. Unter
ihnen auch das Gen für die Piperinsynthase. Dieses Gen wurde
anschließend in Mikroorganismen eingeschleust und diente den Bakterien
als Vorlage für die Produktion des Piperinsynthase-Enzyms. Für das
isolierte Enzym konnten die Hallenser Pfeffer-Experten dann zweifelsfrei
nachweisen: es katalysiert den Zusammenschluss der beiden
Ausgangsstoffe Piperoyl-CoA und Piperidin zum Piperin. Der Beweis, dass
es sich hier tatsächlich um die gesuchte Piperinsynthase handelt, war
damit erbracht.
Bei der Entdeckung der Capsaicinsynthase gab es
andere Probleme. Hier war das codierende Gen bereits identifiziert, doch
ist es der Wissenschaft nie zuvor gelungen, daraus ein enzymatisch
aktives Protein in Bakterien herstellen zu lassen. Der Beweis, dass es
sich bei dem untersuchten Gen überhaupt um die Capsaicinsynthase
handelte, stand daher noch aus. Aber mit ihrem Fachwissen vom relativ
ähnlichen Pfefferenzym konnten die Hallenser Pflanzenforscher die
Capsaicinsynthase isolieren und im finalen Aktivitätstest beweisen, dass
sie tatsächlich die seit langem postulierte Reaktion der beiden
Ausgangsstoffe, 8-Methyl-6-nonenoyl-CoA und Vanilloylamin zum Capsaicin
katalysiert. Diese finalen Aktivitätsnachweise für Piperin- und
Capsaicinsynthase gelangen unter anderem auch deshalb, weil die
Synthesechemiker des Instituts alle Ausgangsstoffe, die es noch nicht zu
kaufen gibt, selbst herstellen und für die Enzymtests zur Verfügung
stellen konnten.
Die wichtigsten Reaktionsschritte der
Piperinbiosynthese und der Capsaicinbiosynthese sind damit aufgeklärt.
Irgendwann wird man beide Biosynthesewege vollständig verstanden haben.
Doch was bringt die Erkenntnis für einen Gewinn? Mit dem Wissen um alle
beteiligten Enzyme einer Biosynthese kann man die entsprechenden Gene in
Mikroorganismen bringen und diese den gewünschten Wirkstoff produzieren
lassen. „Bei Pfeffer wäre das allerdings nicht wirtschaftlich“, sagt
Thomas Vogt, „denn Piperin ist in den Pfefferbeeren in so hoher
Konzentration vorhanden, dass es, beispielsweise für medizinische
Zwecke, sehr einfach isoliert werden könnte.“
Für die
Wissenschaftler am IPB ist die Aufklärung von Biosynthesewegen dennoch
lohnenswert, denn die neu entdeckten Enzyme katalysieren interessante
Reaktionen, die zu Reaktionsprodukten mit komplizierten Strukturen
führen. Diese Enzyme können von den Biochemikern modifiziert werden,
sodass völlig neue Enzyme mit gewünschten Eigenschaften entstehen. Die
optimierten Enzyme nutzt man dann, um im Reagenzglas Synthesen von
neuen, potentiell wirksamen Substanzen zu designen. Diese Art der
biokatalytischen Synthese – das heißt die Nachahmung und Optimierung der
ursprünglichen pflanzlichen Biosynthese im Reagenzglas – hat als
relativ junges Forschungsfeld enormes Zukunftspotential. Als Alternative
zu petrolchemischen Synthesen kann die Biokatalyse gewünschte
Substanzen ohne den Einsatz von giftigen Katalysatoren und
Lösungsmitteln oder die Entstehung von schädlichen Nebenprodukten
erzeugen.
Hintergrund: Biosynthesen und Enzyme
Enzyme sind
Proteine, die in jedem Lebewesen und in jeder Zelle vorkommen. Jede
Reaktion im Körper, bei der ein Stoff in einen anderen Stoff umgewandelt
wird (Stoffwechsel) wird von einem Enzym katalysiert. Es gibt in jedem
Organismus tausende Reaktionen des Stoffwechsels und entsprechend
genauso viele verschiedene Enzyme. Dabei bilden mehrere hintereinander
verlaufende Einzelreaktionen separate Stoffwechsel- oder
Biosynthesewege, die zu vielen verschiedenen Endprodukten führen. In der
Fähigkeit, ein breites Spektrum an komplexen Stoffe zu produzieren,
sind Pflanzen den Tieren überlegen. Deshalb verfügen sie auch über sehr
viel mehr Enzyme als tierische Organismen. Der Mensch nutzt Enzyme seit
Jahrtausenden, beispielsweise zur Herstellung von Brot, Sauerkraut,
Alkohol und Käse.
Publikation: Arianne
Schnabel, Benedikt Athmer, Kerstin Manke, Frank Schumacher, Fernando
Cotinguiba & Thomas Vogt. Identification and characterization of
piperine synthase from black pepper, Piper nigrum L. Communications
Biology 4, https://www.nature.com/articles/s42003-021-01967-9
Raika
Milde, Arianne Schnabel, Toni Ditfe, Wolfgang Hoehenwarter, Carsten
Proksch, Bernhard Westermann & Thomas Vogt. Chemical Synthesis of
Trans 8-Methyl-6-Nonenoyl-CoA and Functional Expression Unravel
Capsaicin Synthase Activity Encoded by the Pun1 Locus. Molecules 27
(20), 6878; https://doi.org/10.3390/molecules27206878