Grosse Mengen Feinstaub in der Luft sind bekanntermassen gesundheitsschädlich. Doch im Detail sind noch viele Fragen offen: Welche Bestandteile sind besonders gefährlich? In welchen Konzentrationen? Das «oxidative Potenzial» von Feinstaub könnte in Zukunft als Kriterium für die Abschätzung von Risiken dienen – und Empa-Forschende haben es für die Schweiz erkundet.
Entzündungen, Bronchitis, Asthma-Schübe, Herzkreislauf-Beschwerden …
– ein Auszug aus der Liste möglicher Gesundheitsschäden durch hohe
Konzentrationen von Feinstaub: Partikel mit einem Durchmesser von
höchstens zehn Mikrometern – «PM10» genannt – und noch kleinere
«PM2.5»-Teilchen, die durch Autoabgase, Heizungen, Industriebetriebe und
natürliche Quellen in unsere Lungen gelangen. Zwar haben strenge
Überwachung und Massnahmen zur Reduktion die Belastungen seit den
Neunzigerjahren auch in der Schweiz gemindert, doch vielerorts, gerade
in Städten, bleibt das Problem bestehen.
Teilchengrösse,
Zusammensetzung, Quellen und Wirkung von Feinstaub sind nicht einfach zu
bestimmen. Sicher ist: Je kleiner die Partikel, desto tiefer gelangen
sie in die menschliche Lunge. Doch welche Anteile sind besonders
gefährlich? Und in welchen Kombinationen und Konzentrationen? Um das zu
beschreiben, wurde vor einigen Jahren das neue Kriterium «oxidatives
Potenzial» entwickelt: ein Begriff, der die Fähigkeit eingeatmeter
Partikel beschreiben soll, die Bildung so genannter freier Radikale im
Körper auszulösen, die letztlich zu Entzündungen führen können.
Messkampagne an fünf Schweizer Orten
Eine
Messgrösse für die Gesundheitsgefährdung also, deren Eignung die
Empa-Forscher Stuart Grange und Christoph Hüglin von der Abteilung
«Luftfremdstoffe / Umwelttechnik» für die Schweiz genauer erkundet haben
– mit einer aufwändigen Messkampagne, unterstützt von der französischen
«Université Grenoble Alpes». Mit Hilfe des Nationalen
Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL), das die Empa mit dem
Bundesamt für Umwelt (BAFU) betreibt, sammelten sie zwischen Juni 2018
und Mai 2019 Feinstaubproben der Kategorien PM2.5 und PM10 rund um die
Uhr. Die Messstationen deckten die ganze Spanne von Feinstaubbelastungen
ab und lagen in Städten, der Agglomeration und in ländlichen Gebieten
südlich und nördlich der Alpen.
Insgesamt analysierten die
Fachleute im Labor rund 900 Proben – mit Testverfahren für das oxidative
Potenzial, die mit unterschiedlichen Analysesubstanzen arbeiten:
Ascorbinsäure (kurz: AA), Dithiothreitol (DTT) und Dichlorfluorescein
(DFCH). Beim AA-Test erlaubt der Verbrauch von Ascorbinsäure, einem
wichtigen Antioxidans, Rückschlüsse auf die oxidative «Giftigkeit» der
Feinstaubprobe, zum Beispiel durch enthaltene Metalle. Die beiden
weiteren Verfahren funktionieren in ähnlicher Weise, verwenden aber
andere Substanzen zur Detektion. Vereinfacht gesagt, so Christoph
Hüglin, bieten die drei Methoden unterschiedliche Perspektiven auf
ähnliche biologische Prozesse.
Maschinelles Lernen reduziert Komplexität
Neben
dem oxidativen Potenzial wurde eine Vielzahl chemischer Inhaltstoffe
des Feinstaubs analysiert. So entstand eine grosse Datenmenge über
Elemente, Ionen und organische Stoffe, aus denen der Feinstaub in der
Schweiz besteht. Um in diesen Datenmassen diejenigen «verdächtigen
Inhaltstoffe» mit dem grössten oxidativen Potenzial zu identifizieren,
setzten die Empa-Forscher auf Methoden des «maschinellen Lernens».
Genauer: den Algorithmus «Random Forest», der, bildlich gesprochen,
einen Wald aus unzähligen Bäumen wachsen lässt, die jeweils
Entscheidungen über Zusammenhänge in den Daten treffen – wie in diesem
Fall den Inhaltsstoffen von Feinstaub und dem zugehörigen oxidativen
Potenzial. Am Ende wird aus den Entscheidungen des gesamten Waldes ein
mittleres Modell gebildet.
So reduzierten die Fachleute die Zahl
der verdächtigen Inhaltstoffe auf rund ein Dutzend, die sie wiederum mit
konventionellen Rechenverfahren und Modellen analysierten, um
schliesslich den wichtigsten Gesundheitsgefährdern auf die Spur zu
kommen – unterschiedliche Metalle oder auch organische Stoffe, die
wiederum Hinweise auf Herkunft und Ursachen liefern.
Die
Resultate bestätigen bekannte Fakten wie ein klares Stadt-Land-Gefälle
beim Feinstaub mit seinen gesundheitlichen Folgen sowie eine höhere
Belastung im Winter als im Sommer. Freilich mit Ausnahmen: Die Werte für
das oxidative Potenzial, bezogen auf das Luftvolumen, waren im Süden
der Schweiz in der kalten Jahreszeit besonders deutlich gestiegen – in
Gebieten, die in dieser Zeit durch den Rauch durch Holzverbrennung
belastet waren.
Die niedrigsten Mittelwerte zeigten ländliche
Gegenden, während die höchsten Werte im gesamten Zeitraum von einer
städtischen und verkehrsbelasteten Messstation stammten. An
verkehrsreichen Knotenpunkten in Städten machen neben Abgasen auch
andere Emissionen Sorgen: Metalle wie Kupfer, Zink, Mangan deuten auf
Feinstaubbestandteile hin, die etwa aus dem Abrieb von Autoreifen oder
Bremsbelägen stammen können.
Wie genau das Kriterium des
oxidativen Potenzials gesundheitliche Gefahren beschreiben kann, wird in
der Fachwelt derzeit kontrovers diskutiert. Schliesslich beantworten
selbst präziseste Messungen und Analysen von Luftschadstoffen keine
offenen Fragen zu Entzündungsprozessen im menschlichen Körper. Doch
Empa-Forscher Hüglin geht nach den Analysen mit seinem Team immerhin
davon aus, dass sich daraus sinnvolle Massnahmen ableiten lassen: Zwar
könnten sämtliche Feinstaubpartikel die Gesundheit beeinträchtigen –
doch bezüglich des oxidativen Potenzials sollte man die Bestandteile aus
dem Strassenverkehr, die nicht aus Abgasen stammen, und aus der
Holzverbrennung bei Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung besonders im
Auge haben.
Gefahren durch Feinstaub
Feinstaub lässt sich als
Gemisch von festen und auch flüssigen Teilchen in der Luft beschreiben –
aus anthropogenen Quellen wie Motoren oder Industrieabgasen oder auch
natürlichen Quellen wie Vulkanen. Während viele Partikel direkt durch
Emissionen in die Luft gelangen (primäre Teilchen), entstehen sekundäre
Partikel erst in der Atmosphäre durch chemische Reaktionen von
gasförmigen Verbindungen. Für die menschliche Gesundheit ist vor allem
lungengängiger Feinstaub von Bedeutung, dessen Teilchen einen
aerodynamischen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer haben. Zum
Feinstaub gehören zudem so genannte ultrafeine Partikel wie aus Abgasen
von Dieselmotoren, die tief in die Lunge eindringen und schwere Schäden
verursachen können.
Publikation: SK
Grange, G Uzu, S Weber, JL Jaffrezo & C Hueglin; (2022). Linking
Switzerland's PM10 and PM2.5 oxidative potential (OP) with emission
sources; Atmospheric Chemistry and Physics (2022); DOI: https://doi.org/10.5194/acp-22-7029-2022