Im Zuge der Optimierung von Schlüsselverfahren der Genom-Editierung ist es Forscherinnen und Forschern der Abteilung Entwicklungsbiologie / Entwicklungsphysiologie am Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg gelungen, die Effizienz von molekulargenetischen Methoden wie CRISPR/Cas9 und verwandten Systemen maßgeblich zu steigern sowie ihre Anwendungsgebiete zu erweitern.
Die von den Biowissenschaftlern gemeinsam mit Kollegen anderer
Disziplinen weiterentwickelten Werkzeuge erlauben unter anderem ein
wirksames genetisches Screening zur Modellierung spezifischer
Genmutationen. Zudem können nun auch bislang unerreichbare Sequenzen der
DNA modifiziert werden. Nach den Worten von Prof. Dr. Joachim Wittbrodt
eröffnen sich damit weitreichende neue Arbeitsfelder in der
Grundlagenforschung und der potentiellen therapeutischen Anwendung.
Als
Genom-Editierung wird die gezielte Veränderung von DNA mit
molekulargenetischen Methoden bezeichnet. Sie kommt in der Pflanzen- und
Tierzucht, aber auch in der medizinischen und biologischen
Grundlagenforschung zum Einsatz. Zu den gängigsten Verfahren gehören die
„Genschere“ CRISPR/Cas9 und ihre als Base-Editoren bekannten Varianten.
In beiden Fällen müssen Enzyme in den Kern der Zielzelle transportiert
werden. Dort angelangt, schneidet das CRISPR/Cas9-System die DNA an
einer gezielt ausgesuchten Stelle, so dass es zu einem Bruch des
Doppelstranges kommt. Dort können anschließend neue DNA-Abschnitte
eingefügt werden. Einen ähnlichen molekularen Mechanismus nutzen
Base-Editoren, durchtrennen jedoch den DNA-Doppelstrang nicht.
Stattdessen tauscht ein an das Cas9-Protein gekoppeltes Enzym einzelne
Grundbausteine des Erbguts – die Nukleotide – gezielt aus. In drei
aufeinander aufbauenden Studien ist es dem Team von Prof. Wittbrodt
gelungen, die Effizienz und Anwendungsreichweite dieser Methoden
maßgeblich zu steigern.
Eine Herausforderung bei der Anwendung
von CRISPR/Cas9 besteht darin, die dafür nötigen Cas9-Enzyme effizient
in den Zellkern einzuschleusen. „Die Zelle verfügt über einen
ausgeklügelten ‚Türsteher‘-Mechanismus. Er unterscheidet zwischen
Proteinen, die in den Kern vordringen dürfen, und solchen, die im
Zytoplasma verbleiben sollen“, erklärt Dr. Tinatini Tavhelidse-Suck aus
dem Team von Prof. Wittbrodt. Den Zugang ermöglicht hier ein Anhang aus
einigen wenigen Aminosäuren, der wie eine „Eintrittskarte“ funktioniert.
Die Wissenschaftler haben nun eine Art generell gültige
„VIP-Eintrittskarte“ gefunden, die damit ausgestattete Enzyme sehr
schnell in den Kern passieren lässt. Sie hat die Bezeichnung „high
efficiency-tag“, kurz „hei-tag“, erhalten. „Auch andere Proteine, die in
den Kern der Zelle vordringen müssen, sind mit ‚hei-tag‘
erfolgreicher“, so die Schlussfolgerung von Dr. Thomas Thumberger, der
ebenfalls am Centre for Organismal Studies (COS) forscht. In
Zusammenarbeit mit Pharmakologen der Universität Heidelberg konnte das
Forschungsteam zeigen, dass Cas9 in Verbindung mit der
„hei-tag-Eintrittskarte“ nicht nur im Modellorganismus Medaka, dem
Japanischen Reiskärpfling (Oryzias latipes), sondern auch in
Zellkulturen von Säugetieren und Mausembryonen hoch-effizient gezielte
Genomveränderungen ermöglicht.
Dass Base-Editoren im lebenden
Organismus mit großer Effizienz arbeiten und sich sogar für ein
genetisches Screening eignen, haben die Heidelberger Wissenschaftler in
einer weiteren Studie nachgewiesen. Im Versuch mit Japanischen
Reiskärpflingen konnten sie zeigen, dass diese lokal begrenzten,
gezielten Veränderungen einzelner DNA-Bausteine eine Wirkung entfalten,
die sonst nur durch die vergleichsweise aufwändige Zucht von Organismen
mit verändertem Erbgut erreicht wird. Das Forschungsteam am COS hat
dabei in Zusammenarbeit mit Dr. Dr. Jakob Gierten, Kinderkardiologe am
Universitätsklinikum Heidelberg, bestimmte Genmutationen in den Blick
genommen. Diese Mutationen standen im Verdacht, angeborene Herzfehler
beim Menschen auszulösen. Durch die Veränderung einzelner DNA-Bausteine
der entsprechenden Gene im Modellorganismus konnten die Wissenschaftler
Fischembryonen mit den beschriebenen Herzfehlern nachahmen und
studieren. Der gezielte Eingriff führte bereits in den frühen
Embryonalstadien der Fische zu sichtbaren Veränderungen am Herzen, wie
Doktorandin Bettina Welz und Dr. Alex Cornean, zwei der Erstautoren der
Studie aus dem Team von Prof. Wittbrodt, ausführen. Dadurch konnten die
Forscherinnen und Forscher den ursprünglichen Verdacht bestätigen und
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen genetischer Veränderung und
Krankheitsbild herstellen.
Ermöglicht wurde der präzise Eingriff
in das Erbgut der Fischembryonen durch die eigens entwickelte, online
verfügbare Software ACEofBASEs. Damit lassen sich Stellen in Genen
identifizieren, die sehr effizient zu gewünschten Veränderungen an den
Zielgenen und daraus resultierenden Proteinen führen. Der Japanische
Reiskärpfling ist dabei, so die Wissenschaftler, ein exzellenter
genetischer Modellorganismus, um Mutationen zu modellieren, wie sie bei
dem jeweiligen Patienten auftreten. „Unsere Methode ermöglicht eine
effiziente Screening-Analyse und könnte damit einen Startpunkt für die
Entwicklung individualisierter medizinischer Behandlung bieten“, so
Jakob Gierten.
Mit den Einschränkungen von Base-Editoren befasst
sich eine dritte Studie, die wiederum in der Arbeitsgruppe von Prof.
Wittbrodt entstanden ist. Damit ein solcher Editor überhaupt an die DNA
der Zielzelle binden kann, muss dort ein bestimmtes Sequenzmotiv
vorhanden sein. Es trägt die Bezeichnung Protospacer Adjacent Motif,
kurz PAM. „Fehlt dieses Motiv in der Nähe des zu verändernden
DNA-Bausteins, ist ein Austausch von Nukleotiden unmöglich“, erklärt Dr.
Thumberger. Ein Team unter seiner Leitung hat nun einen Weg gefunden,
diese Einschränkung zu umgehen. Dabei werden zwei Base-Editoren in einer
einzelnen Zelle zeitlich nacheinander genutzt. In einem ersten Schritt
wird ein neues DNA-Bindemotiv für einen weiteren Base-Editor erzeugt,
woraufhin dieser zweite, gleichzeitig applizierte Editor eine Stelle
editieren kann, die zuvor unerreichbar war. Dieser verschachtelte
Gebrauch stellte sich als hoch effizient heraus, wie Kaisa Pakari,
Erstautorin der Studie, erläutert. Mit diesem Kniff konnten die
Heidelberger Wissenschaftler die Anzahl der möglichen Einsatzorte von
etablierten Base-Editoren um 65 Prozent steigern. So können nun auch
DNA-Sequenzen modifiziert werden, die bislang unerreichbar waren.
„Durch
die Optimierung der bestehenden Werkzeuge für die Genom-Editierung und
ihrer ausgefeilten Anwendung ergeben sich ungeheuer vielfältige
Möglichkeiten für die Grundlagenforschung sowie potenziell neue
therapeutische Ansätze“, betont Joachim Wittbrodt.
Die
Forschungsergebnisse wurden in den Fachzeitschriften „eLife“ und
„Development“ veröffentlicht. Die Forschungsarbeiten waren eingebunden
in das Exzellenzcluster „3D Matter Made to Order“, das gemeinsam von der
Universität Heidelberg und dem Karlsruher Institut für Technologie
getragen wird. Der European Research Council, die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, das Deutsche Zentrum für
Herz-Kreislaufforschung, die Deutsche Herzstiftung und die Joachim Herz
Stiftung haben die Arbeiten und beteiligte Wissenschaftler gefördert.
Publikation: T.
Thumberger, T. Tavhelidse-Suck, J. A. Gutierrez-Triana, A. Cornean, R.
Medert, B. Welz, M. Freichel, J. Wittbrodt: Boosting targeted genome
editing using the hei-tag. eLife (25 March 2022), https://doi.org/10.7554/eLife.70558
A.
Cornean, J. Gierten, B. Welz, J. L. Mateo, T. Thumberger, J. Wittbrodt:
Precise in vivo functional analysis of DNA variants with base editing
using ACEofBASEs target prediction. eLife (4 April 2022), https://doi.org/10.7554/eLife.72124
K.
Pakari, J. Wittbrodt, T. Thumberger: De novo PAM generation to reach
initially inaccessible target sites for base editing. Development (23
January 2023), https://doi.org/10.1242/dev.201115