Körpereigenes Molekül schützt vor lebensbedrohlichen Komplikationen nach Stammzelltransplantation
Die akute Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (engl. Graft-versus-host disease; GvHD) ist eine lebensbedrohliche Komplikation bei der Behandlung von Leukämien mit allogener Stammzelltransplantation, also der Transplantation von Zellen einer anderen Person. Die GvHD entsteht dadurch, dass die transplantierten Immunzellen übermäßig aktiv sind und gesundes Gewebe der Patient*innen schädigen. Forschende der Universitätsklinik Freiburg und des Exzellenzclusters CIBSS der Universität Freiburg haben herausgefunden, dass ein körpereigenes Molekül diese fehlgeleitete Immunreaktion abmildern kann.
Für viele Leukämiepatient*innen ist das Erhalten einer Knochenmark-
oder Blutstammzellspende überlebensnotwendig. In fast der Hälfte der
Fälle kommt es dabei aber zu Komplikationen: Die transplantierten
Immunzellen, insbesondere T-Zellen, greifen dann nicht nur die
Krebszellen an, sondern auch gesundes Gewebe. Das führt zu schweren
Entzündungsreaktionen, vor allem von Haut und Darm. Auch mit
medikamentöser Prophylaxe und Behandlung verläuft die akute GvHD in
vielen Fällen tödlich.
Bei anderen entzündlichen Erkrankungen des
Darms, wie etwa der ulzerativen Colitis, geben Epithelzellen des Darms
vermehrt das Molekül Humanes beta-Defensin 2 (hBD-2) ab. Dieses Defensin
wirkt antimikrobiell und verhindert so das Eindringen von Erregern.
Neuere Studien deuten außerdem darauf hin, dass das Molekül ein
hemmendes Signal für Immunzellen ist. Ein Team um Juniorprofessorin Dr.
Natalie Köhler, Forscherin an der Universitätsklinik Freiburg und dem
Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling
Studies der Universität Freiburg, hat nun untersucht, welchen Einfluss
hBD-2 auf die entzündlichen Vorgänge bei der akuten GvHD hat. Sie fanden
heraus, dass die Gabe von hBD-2 den Verlauf und die Sterblichkeit von
Mäusen mit akuter GVHD deutlich verbesserte. Die vielversprechenden
Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine
erschienen.
Niedrige hBD-2 Level bei Patient*innen mit akuter GvHD
Die
Forschenden verglichen zunächst die Mengen von hBD-2 im Darmgewebe von
Patient*innen mit akuter GvHD mit denen von Patient*innen mit
ulzerativer Colitis sowie gesunden Proband*innen. „Obwohl bei beiden
Erkrankungen entzündliche Vorgänge im Darm stattfinden, war hBD-2 nur
bei Colitis, aber nicht bei akuter GvHD erhöht“, schildert Köhler die
Beobachtungen aus Genexpressionsanalysen und mikroskopischen
Untersuchungen.
Geringere T-Zell-Aktivität und weniger Immunzellen im Darm bei Behandlung mit hBD-2
Die
Forschenden testeten daraufhin, ob die Verabreichung von hBD-2 einen
Effekt auf den Verlauf von akuter GvHD in Mäusen hat. Tatsächlich war
die allogene T-Zell-Antwort im Darm geringer, wenn die Mäuse hBD-2
erhielten. Ein Effekt, den die Forschenden darauf zurückführen konnten,
dass das Molekül die Signalwege beeinflusst, die die Aktivierung
ruhender T-Zellen auslösen. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass die
Gabe von hBD-2 die Zusammensetzung der Bakterienflora im Darm der Mäuse
veränderte und dazu führte, dass weniger sogenannte Neutrophile
Immunzellen in das Darmgewebe einwanderten und dort zur
Entzündungsreaktion beitrugen. „Unsere Studie zeigt also, dass die
prophylaktische Behandlung mit hBD-2 die Signale der T-Zell-Antwort
hemmt und das intestinale Mikrobiom beeinflusst.“, fasst Köhler die
Ergebnisse zusammen. „Dadurch wird die akute GvHD abgemildert.
Gleichzeitig bleibt die Wirkung der T-Zellen gegen die Leukämiezellen
erhalten.“ Das macht hBD-2 zu einem interessanten Kandidaten für weitere
Untersuchungen und klinische Studien als Prophylaxe bei allogener
Stammzelltransplantation, so die Forschenden.
Über den Exzellenzcluster CIBSS
Der
Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling
Studies – hat das Ziel, ein umfassendes Verständnis von biologischen
Signalvorgängen über Skalen hinweg zu gewinnen – von den
Wechselwirkungen einzelner Moleküle und Zellen bis hin zu den Prozessen
in Organen und ganzen Organismen. Mit dem gewonnenen Wissen lassen sich
Signale gezielt kontrollieren und dies wiederum ermöglicht den
Forschenden nicht nur Erkenntnisse in der Forschung, sondern auch
Innovationen in der Medizin und den Pflanzenwissenschaften.
Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (01/2023)
Publikation: Tamina
Rückert, Geoffroy Andrieux, Melanie Boerries, Kathrin Hanke-Müller,
Nadine M. Woessner, Stephanie Doetsch, Christoph Schell, Konrad Aumann,
Julia Kolter, Annette Schmitt-Graeff, Marcel Schiff, Lukas M. Braun,
Eileen Haring, Sandra Kissel, Benjamin A. Siranosian, Ami S. Bhatt,
Peter Nordkild, Jan Wehkamp, Benjamin A. H. Jensen, Susana Minguet,
Justus Duyster, Robert Zeiser, Natalie Köhler (2022). Human ?-defensin 2
ameliorates acute GVHD by limiting ileal neutrophil infiltration and
restraining T cell receptor signaling. In: Science Translational
Medicine. DOI: 10.1126/scitranslmed.abp96