Sicheres Modell zur Vorhersage von resistenten Coronaviren entwickelt
Entschärftes Virus erlaubt Resistenzbeobachtung - Das Coronamedikament Paxlovid wird bisher erfolgreich zur Behandlung von HochrisikopatientInnen eingesetzt. ForscherInnen um Dorothee von Laer und ihrem Doktoranden Emmanuel Heilmann am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck entwickelten am Beispiel von Paxlovid ein einzigartiges Modell, das unter sicheren Bedingungen die Prognose von Resistenzen gegen antivirale Medikamente erlaubt.
Früher oder später werden Krankheitserreger resistent gegen
Medikamente. Dieses Problem bereitet WissenschafterInnen auf der ganzen
Welt Kopfzerbrechen. ForscherInnen um Dorothee von Laer und ihrem
Doktoranden Emmanuel Heilmann am Institut für Virologie der
Medizinischen Universität Innsbruck haben nun ein ungefährliches und
einfach umsetzbares Modell entwickelt, das es ermöglicht,
Virusresistenzen vorherzusagen. Anhand des neuen Systems ist es den
ExpertInnen gelungen, Mutationen zu identifizieren, welche künftig die
Wirksamkeit von Nirmatrelvir beeinträchtigen könnten. Der Wirkstoff ist
Hauptbestandteil des Medikaments Paxlovid, das zur Behandlung von
Coronainfektionen bei HochrisikopatientInnen eingesetzt wird. Das
Fachjournal Science Translational Medicine berichtet über die
Innsbrucker Errungenschaft.
Es ist gefährlich, mit dem
Coronavirus zu hantieren. „Selbst im Hochsicherheitslabor wäre es aus
ethischen und sicherheitstechnischen Gründen bedenklich, so genannte
Gain-of-Function-Experimente durchzuführen. Wenn man einem Organismus
etwas Neues beibringt (engl. gain of function, Anm.), in unserem Fall
eine Resistenz, dann existieren folglich Viren, die resistent sind. Es
ist zwar unwahrscheinlich, aber es besteht das Risiko, dass diese neuen,
gefährlichen Viren aus dem Labor auskommen könnten“, erklärt Heilmann
den Hintergrund für die Entwicklung des neuen Untersuchungsmodells.
Modell nutzt harmloses Ersatzvirus
Eine
Protease ist ein Enzym, das Proteine spaltet. Im Fall von SARS-CoV-2
ist die Protease ein wichtiger Virusbestandteil, der es den Erregern
erst ermöglicht, sich zu vermehren. „Wenn man die Protease hemmt,
funktioniert das Virus nicht mehr. Das gilt für HIV, Hepatitis C und
auch für Coronaviren“, erläutert Institutsleiterin von Laer, die als
Letztautorin der Studie firmiert. Im Zuge seiner Doktorarbeit hat
Heilmann ein System erarbeitet, um die Resistenzentwicklung gegen
Proteasehemmer wie Paxlovid mithilfe des sicheren, therapeutischen
Vesikulären Stomatitis Virus (VSV) zu beobachten: Er baute die Protease
von Sars-Cov-2 in VSV ein. Mit dem neu entstandenen, harmlosen
Ersatzvirus können die ForscherInnen in der Zellkultur nun verschiedene
Szenarien der Virusentwicklung bei Paxlovid-Verabreichung untersuchen.
In der vorliegenden Arbeit ist es dem Innsbrucker Team gelungen, eine
ganze Reihe von Mutationen zu identifizieren, die künftig zu Resistenzen
führen könnten. Laut von Laer sei dies in absehbarer Zeit jedoch
unwahrscheinlich. „Paxlovid ist ein sehr wirksames Mittel, das 90
Prozent derKrankenhauseinweisungen verhindern kann. Es wird nur
Hochrisikopatientinnen und -patienten verabreicht und nur für die Dauer
von in der Regel fünf Tagen. Wichtig ist aber, dass es sofort bei den
ersten Beschwerden einer Coronainfektion gegeben wird“, sagt die
Virologin.
Modelle zur Vorhersage von Resistenzen sind in
dreierlei Hinsicht von großem Nutzen: Die Ergebnisse des
Mutationsmodells können herangezogen werden, um mit globalen
Virus-Datenbanken abzugleichen, ob die im Labor festgestellte Mutation
bereits irgendwo real auf der Welt kursiert oder nicht. Das System kann
klinisch genutzt werden, um die Wirksamkeit vorhandener Proteasehemmer
zu testen und das geeignete Medikament für die jeweiligen PatientInnen
auszuwählen. Zudem dienen Resistenz-Vorhersagemodelle auch den
Pharmaunternehmen beim Design neuer Wirkstoffe, um bereits bekannten
Resistenzproblemen auszuweichen.
„Ein Modell wie dieses, mit dem
man unter relativ sicheren Bedingungen Resistenzuntersuchungen machen
kann, gab es zum Coronavirus bisher noch nicht“, sagt von Laer. Neben
der einfachen Handhabung seien dessen breite Anwendungsmöglichkeiten ein
großer Vorteil. „Es ist im Prinzip für alle Medikamente verwendbar, die
gegen virale Proteasen eingesetzt werden, um Resistenzen zu
identifizieren und neue Mutationen zu finden.“ So möchte Heilmann das
Prinzip künftig beispielsweise auch auf MERS und Medikamente gegen die
MERS-Protease anwenden.
Quelle: Medizinische Universität Innsbruck (01/2023)
Publikation: Emmanuel
Heilmann et al.: SARS-CoV-2 3CLpro mutations selected in a VSV-based
system confer resistance to nirmatrelvir, ensitrelvir, and GC376. In:
Science Translational Medicine, Vol 15, Issue 678, DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/scitranslmed.abq7360