Bioorthogonale Methode zur Einschleusung von Nitrit in Zellen für die Krebstherapie |
Ein Forschungsteam hat ein bioorthogonales Molekülsystem entwickelt, das Nitrit-Ionen in Zellen einschleusen kann. In einer „Click-to-Release“-Strategie werden die Ionen in Krebszellen freigesetzt. Dort setzen sie mit anderen Wirkstoffen zusammen zellabtötende Mechanismen in Gang, berichtet das Team in der Zeitschrift Angewandte Chemie. Mit dem System könnten in der Krebstherapie Synergien von verschiedenen Wirkstoffen besser genutzt werden.
Zellen wandeln Nitrit-Ionen in Stickstoffmonoxid (NO) um, das im
Körper vielfältige Funktionen hat. Unter anderem kann es durch Bildung
von reaktiven Sauerstoffspezies die Wirkung von Krebsmedikamenten
verstärken. Allerdings ist es schwierig, Nitrit genau dorthin zu
bringen, wo es wirken soll. Die Forschungsgruppen von Fude Feng an der
Nanjing University und Shu Wang an der University of the Chinese Academy
of Science in Beijing (China) haben nun ein bioorthogonales System
entwickelt, das Nitrit-Ionen in Krebszellen gemeinsam mit anderen
Wirkstoffen zum Zellorganell des endoplasmatischen Retikulums bringt und
dort freisetzt.
Bioorthogonale Systeme ermöglichen chemische
Reaktionen (sogenannte Click-Reaktionen), ohne dass es auf dem Weg an
den Wirkort Nebenreaktionen gibt. Da sich über diese Bioorthogonalität
viele Ansatzpunkte für neue Therapien eröffnen, wurden die
Erfinder:innen der Click-Chemie und der bioorthogonalen Chemie dieses
Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt.
Um Nitrit-Ionen ohne
unerwünschte Reaktionen an den Zielort zu bringen, müssen sie als
Nitrogruppe an ein Trägermolekül gebunden werden. Allerdings sind die
Bedingungen zum Wiederablösen des Nitrits vom Träger zumeist harscher
als diejenigen, die in Körperzellen herrschen. Daher gestalteten die
Forschenden zwei bioorthogonale Vorstufen: eine, die die Nitrogruppe und
weitere Wirkstoffe zum Zielort transportiert, und eine andere zum
Freisetzen der Wirkstoffe durch eine „Click-to-Release“-Reaktion.
Die
erste der beiden Vorstufen erfüllte mehrere Funktionen: Zum einen wird
sie vom endoplasmatischen Retikulum (ER) aufgenommen. In diesem
Zellorganell laufen zahlreiche wichtige Zellprozesse ab, und viele
Medikamente entfalten hier ihre pharmakologische Aktivität. Zum anderen
transportiert sie neben der Nitrogruppe auch den Wirkstoff Novidamid,
der in hoher Konzentration Stressreaktionen in der Zelle auslöst und
dadurch die Krebszelle in den Zelltod schicken kann.
Die andere
molekulare Vorstufe, ein Dithiol, wird von Enzymen aktiviert, die
besonders in Krebszellen auftreten. Einmal aktiviert, reagiert das
Dithiol mit der ER-Non-Vorstufe und setzt in einer
„Click-to-Release“-Reaktion sowohl das Nitrit als auch das Novidamid
frei. Und nicht nur das: Das entstandene neue Molekül fluoresziert.
Damit wird es zum Phosensibilisator. Unter Lichteinwirkung verstärkt es
die Wirkung der Nitrit-Ionen und des Novidamids. Die Methode der
Photosensibilisierung wird in der photodynamischen Krebstherapie
genutzt.
An Leberkrebszellen getestet, stoppte das bioorthogonale
System das Wachstum dieser Zellen. Die Forschenden beobachteten zudem
einen starken Anstieg von reaktiven Sauerstoffspezies, nachdem sie das
Dithiol und das ER-Non zugegeben hatten. Da keine der bioorthogonalen
Komponenten allein diese Wirkung zeigte, folgerte das Team, dass alle
Komponenten synergistisch wirken. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten
für eine effektivere Krebstherapie.
Den Artikel finden Sie unter:
https://onlinelibrary.wiley.com/page/journal/15213757/homepage/press/202227press.html
Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (11/2022)
Publikation: https://doi.org/10.1002/ange.202213765
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