Neues biologisches Tool, um zelluläre Prozesse nachzuverfolgen
Je besser wir zelluläre Prozesse wie die RNA Regulierung verstehen, desto gezielter können Medikamente entwickelt werden. Besonders schwierig war es bisher, die Regulierung nichtkodierender RNA nachzuverfolgen, also RNA, die nicht weiter zu Proteinen umgesetzt wird. Ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) und Helmholtz Munich hat nun ein minimalinvasives Reportersystem entwickelt, das ein hochsensibles Monitoring der RNA-Produktion sowohl nichtkodierender als auch kodierender RNA ermöglicht.
Für zelluläre Prozesse wird unsere genetische Information in der
Form von DNA zunächst zu RNA umgeschrieben. Diese wird noch bearbeitet,
bevor sie entweder als Bauanleitung für Proteine dient oder selbst eine
Funktion in der Zelle übernimmt. Wie viel und welche RNA gerade
produziert wird, sagt viel über den Zustand einer Zelle aus. So
produzieren Zellen bei einer Entzündung beispielsweise vermehrt RNA, die
für die Proteine der Immunreaktion kodieren.
Werden Gene über
RNA weiter zu Proteinen umgesetzt, können Forschende dies mit Hilfe
bekannter Reportersysteme nachverfolgen. Jedoch kodiert nur ein Teil der
humanen Gene für Proteine. Ein Großteil der menschlichen Gene ist
nichtkodierend, darunter sind auch Gene für sogenannte long non-coding
RNAs (lncRNA). Dies sind RNAs mit mehr als 200 Bausteinen, die nicht als
Bauanleitung für Proteine dienen, sondern als Moleküle selbst wichtige
Prozesse in der Zelle steuern. Beteiligt sind sie nach ersten
Erkenntnissen beispielsweise an der Regulierung der RNA-Produktion, der
Organisation von Strukturen im Zellkern oder beim An- und Abschalten
bestimmter Enzyme.
Trotz ihrer Bedeutung für zelluläre Prozesse
konnten lncRNAs mit bisherigen Methoden nur schwer und mit
Einschränkungen untersucht werden, beispielsweise für fixierte Zellen zu
einzelnen Zeitpunkten, da klassische Reportersysteme, die auf der
Umsetzung zu Proteinen basieren, hierfür nicht verwendet werden können.
INSPECT ermöglicht das Monitoring nichtkodierender RNA
Eine
Lösung liefert nun ein neues Reportersystem: INSPECT. Ein Team um Gil
Westmeyer, Professor für Neurobiological Engineering an der TUM und
Direktor des Instituts für Synthetische Biomedizin bei Helmholtz Munich,
präsentiert das neu entwickelte Reportersystem im Fachjournal „Nature
Cell Biology“.
„Anders als bei bisherigen Methoden werden bei
INSPECT die Sequenzen für Reporterproteine in modifizierten Introns
kodiert. Introns sind Abschnitte auf der unfertigen RNA, die
natürlicherweise von der Zelle beim Bearbeiten herausgetrennt und
abgebaut werden. INSPECT stabilisiert die Introns jedoch so, dass sie
nach dem Heraustrennen nicht abgebaut, sondern ins Zellzytoplasma
gebracht und die Sequenzen zu Reporterproteinen umgesetzt werden“,
erläutert Erstautor Dong-Jiunn Jeffery Truong. Das Signal der
Reporterproteine, beispielsweise Fluoreszenz, können die Forschenden
dann wie bei herkömmlichen Methoden detektieren.
INSPECT verändert weder die fertige RNA noch die Proteine
Das
neue molekularbiologische Tool löst somit nicht nur das Problem, wie
sich die Produktion nichtkodierender RNA nachverfolgen lässt, sondern
bringt auch Vorteile für die Untersuchung kodierender RNA mit sich.
Bisherige Reportersysteme bergen häufig die Gefahr, die gesuchte RNA
oder die Proteine zu beschädigen, da sie zum Beispiel direkt angrenzend
an die zu untersuchende RNA gesetzt werden müssen, um im Prozess zu
Proteinen umgesetzt zu werden. INSPECT modifiziert dagegen nur die
Introns, nicht jedoch die fertige RNA oder die Proteine.
Das Team
konnte die Funktionsweise von INSPECT bereits anhand verschiedener
Beispiele kodierender und nichtkodierender RNA bestätigen. So verfolgten
sie damit die Produktion von RNA für Interleukin 2, ein Protein, das
bei Entzündungen vermehrt produziert wird. Auch die Herstellung zweier
lncRNAs konnten sie bereits mit hoher Sensitivität monitoren und
Veränderungen in der Regulation während des untersuchten Zeitraums
nachvollziehen.
„INSPECT erweitert den biomedizinischen
Werkzeugkasten um ein wichtiges molekularbiologisches Tool. Es lässt
sich damit auf einfache Weise untersuchen, wie bestimmte nichtkodierende
RNA-Moleküle an der Zellentwicklung beteiligt sind und wie
möglicherweise ihre Regulierung verändert werden kann, um beispielsweise
die Umwandlung in Krebszellen zu verhindern“, sagt Prof. Westmeyer.
„Zusammen mit unserem zuvor entwickelten Reportersystem EXSISERS, das
ein ähnlich minimalinvasives Prinzip für Proteine verwendet, könnte
zukünftig ein gesamter Genregulationsprozess von der RNA-Prozessierung
bis zur Produktion spezifischer Proteinformen in lebendigen Zellen
untersucht werden.“
Publikation: Dong-Jiunn
Jeffery Truong*, Niklas Armbrust*, Julian Geilenkeuser, Eva-Maria
Lederer, Tobias Heinrich Santl, Maren Beyer, Sebastian Ittermann, Emily
Steinmaßl, Mariya Dyka, Gerald Raffl, Teeradon Phlairaharn, Tobias
Greisle, Milica Živani, Markus Grosch, Micha Drukker, Gil Gregor
Westmeyer: Intron-encoded cistronic transcripts for minimally-invasive
monitoring of coding and non-coding RNAs, Nature Cell Biology (2022),
DOI: https://doi.org/10.1038/s41556-022-00998-6 *contributed equally
Publikation zum Reportersystem EXSISERS: DJ.J.
Truong, T. Phlairaharn, B. Eßwein , C. Gruber, D. Tümen, E. Baligács,
N. Armbrust, F. L. Vaccaro, E.M. Lederer,, E. M. Beck, J. Geilenkeuser,
S. Göppert, L. Krumwiede, C. Grätz, G. Raffl, D. Schwarz, M. Zirngibl,
M. Živani?, M. Beyer, J. D. Körner, T. Santl, V. Evsyukov, T. Strauß, S.
C. Schwarz, G.U. Höglinger, P. Heutink, S. Doll, M. Conrad, F. Giesert,
W. Wurst and G.G. Westmeyer: Non-invasive and high-throughput
interrogation of exon-specific isoform expression. Nature Cell Biology
23, 652–663 (2021). DOI: https://doi.org/10.1038/s41556-021-00678-x