Ozean im Erdinnern? Wasser in Hunderten Kilometern Tiefe
Die Übergangszone zwischen oberem und unterem Erdmantel enthält erhebliche Mengen Wasser. Dies hat eine internationale Studie ergeben, an der das Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt beteiligt war. Das deutsch-italienisch-amerikanische Forschungsteam hatte einen seltenen Diamanten aus 660 Metern Tiefe mithilfe unter anderem von Raman-Spektroskopie und FTIR-Spektrometrie analysiert. Die Studie zeigt, was bisher lange Zeit nur vermutet wurde: Ozeanwasser gelangt zusammen mit abtauchenden Platten bis in die Übergangszone. Der Wasserkreislauf unseres Planeten bezieht also auch das Erdinnere mit ein.
Übergangszone (transition zone, TZ) heißt die Grenzschicht, die den
oberen und den unteren Erdmantel voneinander trennt. Sie liegt zwischen
410 und 660 Kilometern Tiefe. Hier herrscht ein immenser Druck von bis
zu 23.000 bar, unter dem das olivgrüne Mineral Olivin, das rund 70
Prozent des oberen Erdmantels ausmacht und auch Peridot genannt wird,
seine Kristallstruktur ändert: Am Beginn der Übergangszone in rund 410
Kilometern Tiefe wandelt es sich zum dichter gepackten Wadsleyit; in 520
Kilometern Tiefe dann in eine noch dichter gepackte Struktur, den
Ringwoodit, um.
“Durch diese Mineralumwandlungen werden die
Bewegungen der Gesteine im Erdmantel massiv behindert”, erklärt Prof.
Frank Brenker vom Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität
Frankfurt. Zum Beispiel bleiben die Mantel-Plumes – aufsteigende Ströme
heißer Gesteinsmassen aus dem tiefen Erdmantel – manchmal an der
Unterseite der Übergangszone hängen. Und auch die Massebewegung in die
umgekehrte Richtung wird gestoppt. Brenker: „Abtauchende Platten haben
oft Schwierigkeiten, die Übergangszone komplett zu durchdringen. So
kommt es, dass unter Europa ein ganzer Friedhof solcher Platten in
dieser Zone herumliegt.“
Bisher war jedoch nicht bekannt, welchen
langfristigen Effekt das “Einsaugen” von Material in die Übergangszone
auf ihre geochemische Zusammensetzung hat und ob es dort größere
Wasservorkommen gibt. Brenker erklärt: “Mit den abtauchenden Platten
werden auch Tiefseesedimente huckepack mit ins Erdinnere transportiert.
Diese Sedimente können große Mengen Wasser und CO2 speichern. Wie viel
davon aber in Form von stabileren, wasserhaltigen Mineralen und
Karbonaten die Übergangszone erreicht, war bisher unklar. Und damit
auch, ob dort tatsächlich große Mengen an Wasser gespeichert sind.”
Die
Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gut. Die dicht gepackten Minerale
Wadsleyit und Ringwoodit können – ganz anders als das darüber
existierende Olivin - große Wassermengen speichern - so große, dass die
Übergangszone theoretisch das Sechsfache der Wassermenge unserer Ozeane
aufzunehmen in der Lage wäre. “Wir wussten also, dass die Grenzschicht
enorme Wasserspeicherkapazität hat“, meint Brenker. „Wir wussten aber
nicht, ob sie auch tatsächlich Wasser speichert.”
Eine
internationale Studie, an der der Frankfurter Geowissenschaftler
beteiligt war, hat nun die Antwort geliefert. Das Forschungsteam
analysierte einen Diamanten aus dem afrikanischen Botswana. Er ist in
660 Kilometern Tiefe entstanden, direkt im Kontaktbereich der
Übergangszone mit dem unteren Erdmantel, wo Ringwoodit das typische
Mineral ist. Diamanten aus dieser Region sind sehr selten, selbst bei
den ohnehin schon seltenen Diamanten supertiefen Ursprungs, die nur ein
Prozent der Diamanten ausmachen. Die Analysen ergaben, dass der Stein
zahlreiche Ringwoodit-Einschlüsse hat – und diese einen hohen
Wassergehalt aufweisen. Zudem konnte die Forschergruppe die chemische
Zusammensetzung des Steins ermitteln. Diese entspricht ziemlich genau
der Zusammensetzung fast jeder Erdmantelknolle, die sich weltweit in
Basalten finden lässt. Damit steht fest, dass der Diamant aus einem
normalen Stück Erdmantel stammt. “Wir haben mit dieser Studie
nachgewiesen, dass die Übergangszone kein trockener Schwamm ist, sondern
erhebliche Mengen Wasser speichert”, sagt Brenker. “Damit kommen wir
auch der Idee von Jules Verne wieder einen Schritt näher, der
bekanntlich einen Ozean im Erdinnern postulierte.” Der Unterschied zu
Vernes Verstellungen besteht aber darin, dass sich dort unten kein Meer,
sondern wasserhaltiges Gestein befindet, welches sich laut Brenker
nicht feucht anfühlen würde und auch nicht tropft.
Schon 2014 war
wasserhaltiges Ringwoodit in einem Diamanten aus der Übergangszone
erstmals nachgewiesen worden, Brenker hatte an der Studie mitgewirkt.
Die genaue chemische Zusammensetzung des Steins ließ sich damals jedoch
nicht messen, weil er zu klein war. Daher blieb unklar, wie
repräsentativ die erste Studie für den durchschnittlichen Erdmantel ist,
da der Wassergehalt des damaligen Diamanten auch aus einem chemisch
exotischen Umfeld hätte resultieren können. Die Einschlüsse in dem 1,5
Zentimeter großen Diamanten aus Botswana, den das Forschungsteam in der
aktuellen Studie untersucht hat, waren dagegen groß genug, um auch die
chemische Zusammensetzung exakt zu messen. So ließen sich die
vorläufigen Ergebnisse von 2014 endgültig bestätigen.
Der hohe
Wassergehalt der Übergangszone verändert die dynamische Situation in der
Erde, denn der Erdmantel darüber und darunter kann nicht annähernd so
viel Wasser aufnehmen. Wozu das führt, zeigt sich zum Beispiel an von
unten kommenden heißen Mantle Plumes, die unterhalb der Übergangszone
hängenbleiben. Dort heizen diese die wasserreiche Übergangszone auf, was
wiederum zur Folge hat, dass sich dort dann neue kleinere Mantle Plumes
bilden.Wandern diese kleineren wasserhaltigen Mantle Plumes nun weiter
nach oben und durchbrechen die Grenze zum oberen Erdmantel, passiert
Folgendes: Das in den Mantle Plumes enthaltene Wasser wird freigesetzt,
wodurch der Schmelzpunkt des aufstrebenden Materials sinkt. Es schmilzt
also sofort und nicht erst kurz bevor es die Oberfläche erreicht, so wie
es sonst passiert In Folge sind die Gesteinsmassen in diesem Teil des
Erdmantels insgesamt nicht mehr so zäh, was den Massebewegungen mehr
Dynamik verleiht. Die Übergangszone, sonst eigentlich eine Barriere für
die Dynamik, wird plötzlich zum Antrieb im globalen Stoffkreislauf.
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main (09/2022)
Publikation: Tingting
Gu, Martha G. Pamato, Davide Novella, Matteo Alvaro, John Fournelle,
Frank E. Brenker, Wuyi Wang, Fabrizio Nestola: Hydrous peridotitic
fragments of Earth’s mantle 660 km discontinuity sampled by a diamond.
Nature Geoscience (https://www.nature.com/articles/s41561-022-01024-y)