Ultraschnelle Oberflächenprozesse beobachtet |
Ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung von European XFEL und der Universität Siegen hat erstmals gezeigt, dass die intensiven Pulse eines Röntgenlasers genutzt werden können, um ultraschnelle Prozesse, die auf und direkt unter Materialoberflächen ablaufen, mit bisher unerreichter Tiefen- und Zeitauflösung zu untersuchen. Damit können die Forschenden Prozesse erfassen, die mehr als eine Milliarde Mal schneller sind als das, was bisher auf diesem Gebiet beobachtet werden konnte. Die Ergebnisse, die das Team in der Fachzeitschrift Physical Review Research veröffentlicht hat, ebnen den Weg für vielfältige Anwendungen, die auf dem Verständnis von ultraschnellen Prozessen auf Oberflächen beruhen. Beispiele dafür sind die Laserbearbeitung von Materialoberflächen zur Schaffung maßgeschneiderter Strukturen im Nanomaßstab oder die Realisierung kompakter laserbasierter Teilchen- oder Strahlungsquellen.
Mit Hilfe intensiver Laserpulse lassen sich winzige
Oberflächenstrukturen im Nanobereich mit optimierten optischen,
mechanischen und chemischen Eigenschaften erzeugen. Solche
maßgeschneiderten Strukturen spielen eine entscheidende Rolle auf vielen
Gebieten mit erheblicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher
Auswirkung. Sie können zur Herstellung antimikrobieller Beschichtungen,
zur Verbesserung der Verbindung von Zahnimplantatschrauben mit dem
Knochen und zum Bau fortschrittlicher, besonders widerstandsfähiger
optischer Komponenten verwendet werden. Um diese Strukturen besser
herstellen und ihre Auswirkungen verstehen zu können, müssen Forschende
zunächst die ultraschnellen Prozesse beobachten und verstehen, die beim
Auftreffen der intensiven Femtosekundenlaserpulse ablaufen, die bei der
Oberflächenbearbeitung eingesetzt werden.
„An
Synchrotronstrahlungsquellen ist die Zeitauflösung solcher
Oberflächenuntersuchungen bisher auf wenige Millisekunden, also
tausendstel Sekunden beschränkt“, erklärt Lisa Randolph, Postdoktorandin
an der Universität Siegen und Erstautorin der Studie. „Wir haben jetzt
gezeigt, dass man mit einzelnen Röntgenlaserpulsen auf Pikosekunden,
also billionstel Sekunden springen kann – das entspricht einer mehr als
eine Milliarde Mal besseren Zeitauflösung. Und dank unseres speziellen
Aufbaus, bei dem die Röntgenstrahlen in einem flachen Winkel, im
sogenannten streifenden Einfall, auf die Materialoberfläche treffen,
können wir die Prozesse auf und direkt unter der Oberfläche mit einer
Tiefenauflösung im Nanometerbereich beobachten.“
Der
technologische Durchbruch gelang dem Team am SACLA-Röntgenlaser in Japan
durch die Kombination der oberflächensensitiven Kleinwinkelstreuung
unter streifendem Einfall mit den von SACLA erzeugten Röntgenpulsen.
Diese neuartige Methode ermöglichte es den Forschenden, die
ultraschnellen Veränderungen des Dichteprofils an und unter der
Oberfläche, die durch einen auf das Material auftreffenden Laserpuls
ausgelöst werden, mit einer räumlichen Auflösung von Nanometern
(milliardstel Meter) und einer zeitlichen Auflösung von Pikosekunden
(billionstel Sekunden) zu beobachten. Um die beteiligten Prozesse besser
zu verstehen, verglich das Team anschließend die experimentellen
Ergebnisse mit den Daten aus Simulationsmodellen. „Unsere
experimentellen Daten stellen modernste Plasmasimulationsmodelle in
Frage“, berichtet Mohammadreza Banjafar, Doktorand von European XFEL und
der Technischen Universität Dresden und Zweitautor der Studie.
„Überraschenderweise sagen die weit verbreiteten hydrodynamischen
Simulationen die in unseren Experimenten gemessene Dichtedynamik nicht
korrekt voraus.“ Sogenannte Particle-in-Cell-Simulationen hingegen, die
bisher als unzureichend galten, um solch intensive Wechselwirkungen
zwischen Licht und Materie zu beschreiben, zeigten eine deutlich bessere
Übereinstimmung mit dem Experiment.
„Allerdings fehlen auch in
diesen Particle-in-Cell-Simulationen noch viele physikalische Effekte“,
sagt Motoaki Nakatsutsumi von European XFEL, der das Experiment
koordinierte. „Unsere Methode wird dazu beitragen, die Modellierung von
Laser-Festkörper-Wechselwirkungen weiter zu verbessern und neue
Anwendungen dafür zu entwickeln.“ Insbesondere erwarten die Forschenden,
dass die beispiellosen Möglichkeiten, die ihre neue Technik bietet,
neue Perspektiven für die Lasermaterialbearbeitung und die Forschung mit
hohen Energiedichten eröffnen werden.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-siegen.de/start/news/forschungsnews/980147.html
Quelle: Universität Siegen (05/2022)
Publikation: “Nanoscale
subsurface dynamics of solids upon high-intensity laser irradiation
observed by femtosecond grazing-incidence x-ray scattering”, Phys. Rev.
Res. 4, 033038 (2022); https://journals.aps.org/prresearch/abstract/10.1103/PhysRevResearch.4.033038 |