"Heißes" Graphen zeigt Migration von Kohlenstoffatomen
Die Wanderung von Kohlenstoffatomen auf der Oberfläche des Nanomaterials Graphen wurde vor Kurzem erstmals gemessen. Obgleich sich die Atome zu schnell bewegen, um sie direkt mit einem Elektronenmikroskop beobachten zu können, konnte ihr Einfluss auf die Stabilität des Materials nun indirekt bestimmt werden, während das Material auf einer mikroskopischen Heizplatte erhitzt wurde.
Kohlenstoff ist ein essentielles Element für alles bekannte Leben
und kommt in der Natur vor allem als Graphit oder Diamant vor. In den
letzten Jahrzehnten haben Materialwissenschaftler viele neue Formen von
Kohlenstoff hergestellt, darunter Fullerene, Kohlenstoff-Nanoröhren und
Graphen. Insbesondere Graphen ist, nicht nur aufgrund seiner
hervorstechenden Eigenschaften, Gegenstand intensiver Forschung, sondern
auch, weil es sich besonders gut für Experimente und Modellierung
eignet. Einige grundlegende Prozesse konnten jedoch bisher noch nicht
gemessen werden, darunter die Bewegung von Kohlenstoffatomen auf seiner
Oberfläche. Diese zufällige Bewegung ist der atomare Ursprung des
Phänomens der Diffusion.
Diffusion (von lateinisch „diffundere“:
ausbreiten, streuen) bezeichnet die natürliche Bewegung von Teilchen wie
Atomen oder Molekülen in Gasen, Flüssigkeiten oder Festkörpern. In der
Atmosphäre und in den Ozeanen sorgt dieses Phänomen für eine
gleichmäßige Verteilung von Sauerstoff bzw. Salz. In der technischen
Industrie ist es von zentraler Bedeutung für die Stahlproduktion,
Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen, um nur einige Beispiele zu
nennen. In der Materialwissenschaft erklärt die Diffusion an der
Oberfläche von Festkörpern, wie bestimmte katalytische Reaktionen
ablaufen und viele kristalline Materialien, einschließlich Graphen,
gezüchtet werden.
Die Diffusionsgeschwindigkeit an der Oberfläche
hängt im Allgemeinen von der Temperatur ab: Je wärmer es ist, desto
schneller diffundieren die Teilchen. Indem diese Geschwindigkeit bei
verschiedenen Temperaturen gemessen wird, kann prinzipiell die
Energiebarriere bestimmt werden, die beschreibt, wie leicht (in diesem
Fall) Atome von einem Ort auf der Oberfläche zum nächsten wandern
können. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn die Atome nicht lange genug
an Ort und Stelle bleiben, so wie es bei Kohlenstoffatomen auf Graphen
der Fall ist. Daher stützte sich unser Verständnis bisher auf
Computersimulationen. In der neuen Studie wird diese Schwierigkeit
überwunden, indem ihre Wirkung indirekt gemessen wird, während das
Material auf einer mikroskopischen Heizplatte in einem
Elektronenmikroskop erhitzt wird.
Indem die Forscher die atomare
Struktur von Graphen mit Elektronen sichtbar machten und dabei
gelegentlich Atome herausschleuderten, konnten sie bestimmen, wie
schnell sich die Kohlenstoffatome auf der Oberfläche bewegen müssen, um
das Füllen der entstehenden Löcher bei erhöhten Temperaturen zu
erklären. Somit konnte durch die Kombination von Elektronenmikroskopie,
Computersimulationen und dem Verständnis für das Zusammenspiel von
Bildentstehung und Diffusion eine Schätzung für die Energiebarriere
ermittelt werden. "Nach sorgfältiger Analyse konnten wir einen Wert von
0,33 Elektronenvolt dingfest machen, etwas niedriger als erwartet", so
der Erstautor Andreas Postl.
Die Studie ist auch ein Beispiel für
einen glücklichen Zufall in der Forschung. Das ursprüngliche Ziel des
Teams war, die Temperaturabhängigkeit von Strahlenschäden durch
Elektronen zu messen. "Ehrlich gesagt war es nicht das, was wir
ursprünglich untersuchen wollten. Allerdings passieren solche
Entdeckungen in der Wissenschaft oft, wenn man hartnäckig kleinen, aber
unerwarteten Details nachgeht", fasst der Seniorautor Toma Susi
zusammen.
Publikation: Indirect
measurement of the carbon adatom migration barrier on graphene: Andreas
Postl, Pit Hilgert, Alexander Markevich, Jacob Madsen, Kimmo Mustonen,
Jani Kotakoski, Toma Susi. Carbon (2022). DOI: 10.1016/j.carbon.2022.05.039 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0008622322004079