Wolframisotope im Meerwasser geben Auskunft über Entwicklung von Erdmantel und Kontinenten
In einer Studie konnten Andrea Mundl-Petermeier und Sebastian Viehmann vom Department für Lithosphärenforschung der Universität Wien nachweisen, dass mithilfe eines neuen geochemischen Archivs – das 182Wolfram-Isotop in gebänderten Eisenformationen – gleichzeitig sowohl die Entwicklung des Erdmantels als auch der Kontinente in der Erdfrühzeit nachvollzogen werden kann. Dadurch bieten sich neue Möglichkeiten, die Erde des Präkambriums künftig deutlich besser zu verstehen.
Um zu erforschen, wie sich der Erdmantel in der Erdfrühzeit
entwickelt hat, stand schon bisher das kurzlebige 182Hafnium-182Wolfram
Isotopensystem im Fokus: 182Wolfram zeigt unter anderem an, wie sehr die
Erde gegen Ende ihrer Entstehung intensiven Meteoriteneinschlägen
ausgesetzt war und wie rasch sich der Erdmantel im Laufe der
Erdgeschichte mit diesen meteoritischen Komponenten vermischt und
homogenisiert hat.
Allerdings mussten bisher für die Untersuchung
dieser Isotope magmatische Gesteine der wenigen Relikte sehr alter
Kontinente – beispielsweise Australien oder Südafrika – verwendet
werden: "Solche Proben gibt es aber nur mehr wenige und es ist unklar,
ob diese magmatischen Gesteine wirklich repräsentative Signaturen der
globalen Erdentwicklung liefern oder nur lokale Effekte widerspiegeln",
erklärt die Isotopengeochemikerin Andrea Mundl-Petermeier von der
Universität Wien.
Sie hat nun gemeinsam mit Sebastian Viehmann,
ebenfalls Forscher am Department für Lithosphärenforschung der
Universität Wien und Kollegen der Universität zu Köln und der Jacobs
University Bremen ein neues geochemisches Archiv entdeckt und im Journal
Nature Communications veröffentlicht: Wolfram-Isotopensignaturen in
gebänderten Eisenformationen, so genannten BIFs (banded iron
formations), die vorwiegend aus dem Präkambrium stammen, also zwischen
3,8 Milliarden und rund 540 Millionen Jahre alt sind.
Entwicklung des Erdmantels und der Kontinente
Anhand
einer solchen 2,7 Milliarden Jahre alten Eisenformation aus dem
kanadischen Temagami Grünsteingürtel konnte das Team rekonstruieren,
dass die Schichten, die sich aus dem Meerwasser ablagern, gleichzeitig
sowohl die Entwicklung des Erdmantels als auch die der Erdkruste
anzeigen. "In den hellen Quarzschichten finden sich Hinweise auf die
Verwitterung der Kontinente; in den dunklen Eisenlagen hingegen Spuren
von submarinen heiß-hydrothermalen Lösungen aus Systemen ähnlich den
heutigen 'Schwarzen Rauchern' am Mittelozeanischen Rücken", sagt
Viehmann.
Mithilfe von modernsten Instrumenten der Arbeitsgruppe
GeoKosmoChronologie und der neuen Core Facility "Geowissenschaftliche
Festkörpermassenspektrometrie" (GeoIsotopes) am Department für
Lithosphärenforschung gelang es dem Forschungsteam, Unterschiede in der
Isotopenzusammensetzung zwischen den beiden Lagen aufzudecken. "Sowohl
die Eisen- als auch die Quarz-reichen Bänder zeigen die für diese Zeit
typischen 182Wolfram-Anreicherungen, aber mithilfe hochpräziser
Messmethoden fanden sich darüber hinaus signifikante Unterschiede", so
Mundl-Petermeier: "Wir konnten somit nachweisen, dass sich mithilfe der
gebänderten Eisenformationen sowohl die geodynamische Entwicklung des
Mantels als auch der Kontinente innerhalb einer einzelnen Probe
nachverfolgen lässt."
Aus der Meerwasserperspektive
Dies
funktioniert bei der neuen Methode über den Umweg des Meerwassers:
Gebänderte Eisenerze entstehen durch chemische Ablagerungen aus dem
Meer. "Die untersuchten BIFs aus der Temagami-Gegend repräsentieren
somit direkt die Meerwasserchemie vor 2,7 Milliarden Jahren", erklärt
der Geologe Sebastian Viehmann: "Wir sehen uns die damalige Erde somit
quasi aus der Perspektive des Meeres an."
Diese
Meerwasser-Perspektive hat zum einen den Vorteil, dass die
Forscher*innen künftig nicht mehrere – möglicherweise bereits stark
veränderte – Proben magmatischen Gesteins heranziehen müssen, sondern
quasi den marinen Durchschnitt verwenden können: "Da Wolfram vor 2,7
Milliarden Jahren eine relativ lange Residenzzeit im Ozean hatte,
spiegelt diese 182W-Signatur der Quarzlagen sozusagen einen
geochemischen Durchschnitt der damaligen zur Verwitterung verfügbaren
Landmassen wider", erklärt Mundl-Petermeier.
In den Eisenlagen
wiederum finden sich Hinweise auf die Zusammensetzung des Erdmantels
durch Ablagerungen aus hydrothermalen Systemen – aber auch dies
gewissermaßen im "Meeresdurchschnitt". Mithilfe der neuen Methode
erhoffen sich die Forscher*innen detaillierte Erkenntnisse über die sehr
frühe Entwicklung der Erde. Unter anderem können so neue
Informationen gewonnen werden, wie lange es dauerte bis der Erdmantel
vollkommen durchmischt war. "Die letzten rund 0,5 Prozent der Erdmasse
trudelte in Form von Meteoriten ein – aber wie lange es schlussendlich
brauchte, bis sich diese meteoritischen Komponenten vollkommen mit dem
Mantel vermischt haben, ist noch unklar – dies können wir aber mithilfe
der 182W-Signatur tracken", so Viehmann.
"Unsere Studie zeigt
somit, dass gebänderte Eisenerze einzigartige Archive für 182W
darstellen – sie sind sozusagen ein Spiegel für die Entwicklung der
frühen Erde, in dem wir gleichzeitig die Evolution und das Zusammenspiel
zwischen Erdmantel und Kontinenten nachverfolgen können. Wir hoffen,
über dieses neue Archiv künftig die geodynamische Entwicklung der Erde
während des Präkambriums deutlich besser verstehen zu können", so die
Isotopengeochemikerin Mundl-Petermeier.
Publikation: A.
Mundl-Petermeier, S. Viehmann, J. Tusch, M. Bau, F. Kurzweil, C. Münker
(2022): Earth’s geodynamic evolution constrained by 182W in Archean
seawater. In: Nature Communications DOI: 10.1038/s41467-022-30423-3