Die Ausbreitung der Hausratte war eng mit den Römern verknüpft |
Neue DNA-Analysen haben Aufschluss darüber gegeben, wie sich die Hausratte, die unter anderem für die Ausbreitung des Schwarzen Todes mitverantwortlich gemacht wird, in Europa ausbreitete. Sie zeigen, dass das Nagetier unseren Kontinent in der Römerzeit und im Mittelalter gleich zweimal besiedelte. Die Studie, die von der University of York und der University of Oxford in Zusammenarbeit mit den Max-Planck-Instituten für Menschheitsgeschichte (Jena) und für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) durchgeführt wurde, untersucht erstmals altes Erbgut dieser Spezies, die unter anderem auch als Schiffsratte bekannt ist.
Die Hausratte (Rattus rattus) gehört zusammen mit der Hausmaus (Mus
musculus) und der Wanderratte (Rattus norvegicus) zu den drei
Nagetierarten, die sich an das Leben in menschlichen Siedlungen
angepasst und sich menschliche Nahrungsquellen und
Transportmöglichkeiten zunutze gemacht haben. So ist es ihnen gelungen,
sich weltweit zu verbreiten. In Europa war die Hausratte bis zum 18.
Jahrhundert weit verbreitet, bevor ihre Population stark zurückging –
höchstwahrscheinlich wurde sie von der neu eingewanderten Wanderratte
verdrängt, der heute dominierenden Rattenart im gemäßigten Klima
Europas.
Durch die Analyse der Genome alter Hausratten, deren
Überreste bei archäologischen Ausgrabungen in Europa und Nordafrika
gefunden wurden und die den Zeitraum vom ersten bis zum 17. Jahrhundert
umspannen, haben die Forschenden neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie
sich die Rattenpopulationen im Zuge des menschlichen Handels, der
Urbanisierung und der Entstehung von Weltreichen ausbreiteten. Die
Studie zeigt, dass die Hausratte Europa mindestens zweimal besiedelte:
einmal zur Zeit der römischen Expansion, danach noch einmal im
Mittelalter. Der Rückgang bzw. das Verschwinden der Ratten im frühen
Mittelalter ist auch durch archäologische Funde belegt. Den Autorinnen
und Autoren zufolge hing dies wahrscheinlich mit dem Zusammenbruch des
römischen Wirtschaftssystems zusammen. Aber auch klimatische
Veränderungen und die Justinianische Pest im sechsten Jahrhundert
könnten eine Rolle gespielt haben. Als die Städte und der Fernhandel im
Mittelalter wiederauflebten, kam es auch zu einer erneuten Ausbreitung
der Hausratte.
Wiederholte Besiedlung Europas„Wir wissen
seit langem, dass die Ausbreitung von Ratten mit menschlichen
historischen Ereignissen zusammenhängt und haben vermutet, dass die
römische Expansion die Ratten nordwärts nach Europa gebracht haben
könnte“, sagt David Orton von der University of York. „Aber ein
bemerkenswertes Ergebnis unserer Studie ist, dass es sich dabei um ein
einzelnes Ereignis zu handeln scheint: Alle unsere römischen
Rattenknochen von England bis Serbien bilden genetisch gesehen eine
einzige Gruppe.“ Er fügt hinzu: „Als die Ratten im Mittelalter
wiederauftauchen, sehen wir eine völlig andere genetische Signatur –
aber auch hier bilden alle unsere Proben von England über Ungarn bis
Finnland eine einzige Gruppe. Einen deutlicheren Beweis für die
wiederholte Besiedlung Europas hätten wir uns nicht wünschen können.“
„Die heutige Dominanz der Wanderrate hat die faszinierende Geschichte
der Hausratte in Europa überblendet. Die genetischen Signaturen früher
Hausratten zeigen aber, wie eng die Populationsdynamik dieser Tiere mit
der des Menschen verbunden ist“, sagen Co-Autor Greger Larson und
Co-Autorin Alex Jamieson von der University of Oxford.
Nach
Ansicht der Autorinnen und Autoren könnte die Studie sogar Aufschluss
über die Migrationswege des Menschen über die Kontinente hinweg geben.
„Diese Studie ist ein großartiges Beispiel dafür, wie der genetische
Hintergrund von Arten wie der Hausratte, die im Umkreis menschlicher
Siedlungen leben, menschliche historische oder ökonomische Ereignisse
widerspiegeln kann. Wir können noch viel von diesen häufig nicht für
wichtig befundenen kleinen Tieren lernen“, sagt He Yu, Forscherin am
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpg.de/18597468/0503-evan-die-ausbreitung-der-hausratte-war-eng-mit-den-roemern-verknuepft-150495-x
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (05/2022)
Publikation: Palaeogenomic
analysis of black rat (Rattus rattus) reveals multiple European
introductions associated with human economic history Nature Communications, 03 May 2022, https://doi.org/10.1038/s41467-022-30009-z |