Tödliches Spinnengift als Grundstoff medizinischer Anwendungen? |
Die Schwarze Witwe schnappt sich ihre Beute mit Gift. Der Biss der Spinne kann auch für Menschen tödlich enden. Wie das Nervengift genau aufgebaut ist und im Detail wirkt, war bislang unklar. Die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Richard Wagner, Biophysiker an der Jacobs University Bremen, und von Prof. Dr. Christos Gatsogiannis vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, haben nun die Struktur und Funktionsweise des Toxins entschlüsselt – auch mit Blick auf mögliche medizinische Anwendungen.
Mit Latrotoxinen (LaTXs), einer Untergruppe der Neurotoxine, also
Nervengiften, macht die Schwarze Witwe ihre Opfer bewegungsunfähig ¬–
oder tötet sie. Dabei docken die Toxine an spezifischen Rezeptoren auf
der Oberfläche von Nervenzellen an und bewirken letztlich die
Freisetzung von Neurotransmittern. Durch den ständigen Einstrom von
Calcium-Ionen in die Zelle werden Botenstoffe in großen Mengen
freigesetzt. Die Folge sind Krämpfe.
Dieser Mechanismus
unterscheidet die Latrotoxine von allen anderen Varianten der
sogenannten porenformenden Toxine. Trotz umfangreicher Studien in den
letzten Jahrzehnten war unklar, wie diese Toxine aufgebaut sind und nach
welchen Mechanismen sie ihre Wirkung entfalten. Dank der
kryo-Elektronenmikroskopie (kryo-EM) in der Arbeitsgruppe von Professor
Gatsogiannis hat sich dies geändert. Mit dieser dreidimensionalen
Methode lassen sich Biomoleküle bis zur atomaren Auflösung
„fotografieren“.
Die Proteinkomplexe werden dabei in flüssigem
Ethan bei minus 196 Grad Celsius in Millisekunden in eine dünne Schicht
von amorphem Eis, einer Form von festem Wasser, eingefroren.
Anschließend werden Hunderttausende von Bildern aufgenommen, welche
unterschiedliche Ansichten des Proteins zeigen – und so die Struktur des
Nervengifts erkennen lassen. Zudem gelang es der Arbeitsgruppe von
Professor Wagner mit Hilfe der Einzelmolekül-Elektrophysiologie
(BLM-Technik), die prinzipiellen molekularen Wirkmechanismen der
Latrotoxine im Detail zu klären. Weltweit gibt es nur wenige Labore in
denen das Know-how für diese Methode vorhanden ist.
Mit diesen
beiden Techniken – der kryo-EM und BLM-Technik – ist es den Forschenden
unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts in Dortmund gelungen, die
erste Struktur eines Latrotoxins aufzuklären und deren physiologischen
Wirkmechanismen zu charakterisieren. Es zeigte sich, dass das
Spinnengift sich auch spontan in die Zelloberfläche einfügt und dort
sehr selektive Calcium-Release Ionenkanäle bildet. „Die allgemeine
Struktur der LaTX ist einzigartig und unterscheidet sich von allen
bereits bekannten Toxinen in jeglicher Hinsicht“, so Professor
Gatsogiannis.
Die neuen Erkenntnisse sind grundlegend für das
Verständnis des molekularen Wirkmechanismus der gesamten LaTX-Familie
und bereiten den Boden für mögliche medizinische Anwendungen sowie für
die Entwicklung eines effizienten Gegengifts. Zudem könnte die Forschung
über die insektenspezifischen Toxine neue Möglichkeiten zur
Schädlingsbekämpfung eröffnen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.jacobs-university.de/news/deadly-spider-venom-basic-ingredient-medical-applications-mystery-black-widow-decoded
Quelle: Jacobs University Bremen gGmbH (01/2022)
Publikation: https://www.nature.com/articles/s41467-021-26562-8 |