Forscher:innen vom Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg und der Universität Cambridge haben bei der Analyse des 2A-Proteins von Cardioviren einen Gen-Schalter entschlüsselt. Durch eine besondere RNA-bindende Faltung in seiner Struktur aktiviert das Protein die sogenannte ribosomale Leserasterverschiebung und ermöglicht es dem Virus, sich zu vermehren. Zugleich kann eine Anhäufung von 2A diesen Prozess während der Infektion abschalten – eine virale Achillesferse, auf die künftige RNA-basierte Therapien zielen könnten.
Infektionen mit dem Enzephalomyokarditis-Virus (EMCV) betreffen
unter anderem verschiedene Säugetiere wie etwa Schweine und Schimpansen.
Doch auch der Mensch kann sich infizieren, Fieber und entzündliche
Erkrankungen, etwa des Gehirns, sind die Folge. Wie andere Cardioviren –
oder wie auch das hochinfektiöse Coronavirus SARS-CoV-2 – ist EMCV ein
RNA-Virus: Sein Erbgut besteht aus Ribonukleinsäuren (RNA). Da Viren
keinen eigenen Stoffwechsel haben und nicht selbst Proteine erzeugen
können, um sich zu vermehren, infizieren sie einen Wirt und dringen in
dessen Zellen ein. Dort manipulieren sie den Translationsprozess, mit
dessen Hilfe aus einer Boten-RNA (mRNA) Proteine gebildet werden, um
ihre eigenen Proteine herzustellen: Sie übernehmen die Kontrolle über
die Ribosomen – die Fabriken der Proteinsynthese.
Der Vermehrungstrick: proteinmodulierte Leserasterverschiebung
Die
Manipulation dieser zellulären Fabriken gelingt durch die ribosomale
Leserasterverschiebung: Beim Ablesen und Übersetzen der genetischen
Informationen in der Boten-RNA – einem streng kontrollierten Vorgang in
einer bestimmten Reihenfolge, der innerhalb einer Ribosom genannten
Zellstruktur stattfindet – wird eine Verschiebung des Leserasters hin zu
einer anderen Stelle erzwungen. Dies ändert die Art, wie die gesamte
Sequenz decodiert wird, und ermöglicht es, mehr als ein Protein aus
einer einzigen Boten-RNA zu synthetisieren.
„Indem sie den
Translationsmotor des Wirts kapern und das System korrumpieren, um ihre
eigenen Proteine zu produzieren, haben sich Viren als furchterregende
zelluläre Eindringlinge erwiesen“, sagt Jun. Prof. Neva Caliskan,
Forschungsgruppenleiterin am Würzburger Helmholtz-Institut für
RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und korrespondierende Autorin
der Studie.
„In unserer aktuellen Arbeit haben wir uns darauf
konzentriert zu untersuchen, wie dieser Prozess bei der EMCV-Replikation
reguliert wird. Dem multifunktionalen 2A-Protein kommt dabei eine
Schlüsselrolle zu“, ergänzt Prof. Ian Brierley, Gruppenleiter an der
Pathologie der Universität Cambridge und neben Caliskan Mitinitiator der
Untersuchungen.
Die Wissenschaftler:innen an der Universität
Cambridge haben die Kristallstruktur von 2A gelöst und dabei eine neue
Proteinfaltung und ihr Zusammenwirken mit den Ribosomen entdeckt. Dr.
Chris Hill, einer der Erstautoren der Studie und inzwischen
Gruppenleiter an der Universität York, erklärt: „Die Faltung ist ganz
besonders und ähnelt keinem anderen bekannten Muster. Das lässt uns die
jahrelangen Arbeiten darüber besser verstehen, wie das multifunktionale
2A-Protein mit seinen Zielen interagieren kann.“
Das Forscherteam
konnte außerdem zeigen, wie die Proteinfaltung dazu beiträgt, dass das
EMC-Virus an die RNA des Wirtsribosoms bindet. „Das Andocken des
2A-Proteins an die RNA stabilisiert deren Struktur und erzwingt eine
Rasterverschiebung“, sagt Lukáš Pekárek, der ebenfalls zum
Erstautorenteam der wissenschaftlichen Studie zählt. „Diesen Effekt
konnten wir, hochaufgelöst durch unsere optischen Pinzetten, genau
beobachten“, so der HIRI-Doktorand im Caliskan-Labor.
„Zu Beginn
einer EMCV-Infektion ist das 2A-Protein noch nicht vorhanden,
stattdessen sind andere Proteine aktiv, die das Virus zur Replikation
seines Genoms benötigt“, sagt HIRI-Doktorandin Anuja Kibe, die ebenfalls
an der Studie mitgewirkt hat. Bei Fortschreiten der Infektion trete 2A
dann gehäuft auf und stimuliere die Rasterverschiebung, die der Erreger
braucht, um Proteine für die Produktion der Virusstruktur herzustellen.
„Die
Bindefähigkeit von 2A und ihr stabilisierender Effekt auf die Wirts-RNA
haben zur Folge, dass die Translationsmaschinerie gestoppt wird“,
erklärt Pekárek. „Dieses besondere Protein wirkt also regelrecht wie ein
Schalter, durch den die weitere Virusvermehrung gehemmt werden kann.“
Die
weiterführende Forschung kann an dieser viralen Achillesferse ansetzen,
um darauf zielende RNA-Technologien und -Therapeutika zu entwickeln und
in die medizinische Anwendung zu bringen.
Über Cardioviren
Cardioviren
gehören zu den kleinsten Viren, die es auf der Welt gibt. Ihr
Durchmesser beträgt etwa 22 bis 30 Nanometer. Das ist etwa tausendmal
kleiner als der Durchmesser eines Haares – und damit viel zu klein, um
Viren dieser Größe unter einem Mikroskop sichtbar zu machen. RNAs, also
Ribonukleinsäuren, aus denen das Genom dieser Viren besteht, sind
nochmals kleiner. Wissenschaftler:innen am HIRI arbeiten deswegen unter
anderem mit optischen Pinzetten. Diese ermöglichen es, molekulare
Strukturen und RNA-Funktionen in atomarer Auflösung zu untersuchen.
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (12/2021)
Publikation: Hill
C H, Pekárek L, Napthine S, Kibe A, Firth A E, Graham S C, Caliskan N,
Brierley I. Structural and molecular basis for Cardiovirus 2A protein as
a viral gene expression switch. Nature Communications, 9. Dezember
2021. DOI: 10.1038/s41467-021-27400-7.