Handschlag besiegelt Bildung von Eisen-Schwefel-Clustern
Ein Handschlag besiegelt den Abschluss: Eine deutsch-kanadische Forschungsgruppe hat einen noch im Dunklen liegenden Reaktionsschritt aufgeklärt, der zur Entstehung von Eisen-Schwefel-Clustern beiträgt – diese braucht der Körper zum Beispiel für die zelluläre Atmung und viele lebenswichtige Stoffwechselvorgänge. Wie das Team im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ berichtet, treten Eisen und Schwefel zum Cluster zusammen, indem die Proteine, auf denen sie sitzen, sich durch Vermittlung einer einzigen Aminosäure zusammenschließen.
„Enzyme mit Eisen-Schwefel-Clustern sind unersetzlich für zahlreiche
essenzielle Lebensprozesse“, erläutert der Marburger Biochemiker und
Zellforscher Professor Dr. Roland Lill, der die Studie leitete.
Beispiele hierfür sind insbesondere die Energiegewinnung in den
Mitochondrien, die Vervielfältigung der Erbsubstanz DNA sowie deren
Reparatur nach Schädigungen. Ist die Synthese von
Eisen-Schwefel-Clustern gestört, kommt es zu schwerwiegenden
Beeinträchtigungen der Gesundheit, etwa zu Blutarmut oder neurologischen
Erkrankungen – bis hin zum Tod.
Die Entstehung von
Eisen-Schwefel-Proteinen ist ein mehrstufiger Prozess, der das
Zusammenwirken spezialisierter Enzyme erfordert; er findet zum großen
Teil in den Mitochondrien statt, die als die Kraftwerke der Zelle
gelten. „Das Ineinandergreifen der molekularen Vorgänge gleicht dabei
den Abläufen in einer komplizierten Maschine“, sagt Lill. In der ersten
Phase entsteht eine Verbindung aus zwei Eisen- und zwei Schwefelatomen,
ein so genannter [2Fe-2S]-Cluster. Schon dieser Vorgang erfordert eine
ganze Kette von Reaktionen. Lill arbeitet mit vielen nationalen und
internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit zwei
Jahrzehnten daran, den Prozess Schritt für Schritt bis in die
mechanistischen Details aufzuklären.
Das Zusammenschmieden von
Eisen und Schwefel in den Mitochondrien findet auf speziellen
Gerüstproteinen statt. In menschlichen Zellen übernimmt diese Aufgabe
ein Paar von ISCU2-Proteinen, die am Ende des Prozesses durch eine
[2Fe-2S]-Brücke verbunden sind. „Wie aus Eisen und Schwefel, die an
ISCU2 gebunden sind, ein [2Fe-2S]-Cluster entsteht, war bislang noch
weitgehend unbekannt“, erklärt Lills Mitarbeiter Dr. Sven-Andreas
Freibert, einer der Leitautoren der Fachveröffentlichung.
Die
Forschungsgruppe konzentrierte sich auf einen einzelnen Baustein des
ISCU2-Proteins, nämlich auf die Aminosäure Tyrosin an Position 35. Wie
wichtig die Aminosäure an dieser Stelle ist, zeigen Experimente an
Zellkulturen: In Zellen mit ISCU2, dem das Tyr35 fehlt, sinkt der Pegel
wichtiger Eisen-Schwefel-Proteine der Mitochondrien. Dies lässt sich
rückgängig machen, indem man ISCU2 mit korrektem Tyr35 wieder künstlich
einfügt.
Das Team um Lill führte biochemische und zellbiologische
Experimente durch, die den Mechanismus aufzeigen, durch den die
Aminosäure die Vermählung von Eisen und Schwefel zuwege bringt: Demnach
gehen zwei Tyr35 unterschiedlicher ISCU2-Proteine eine Verbindung ein –
Lill vergleicht das mit einem Handschlag –, wodurch auch die Eisen- und
Schwefelatome zu einem [2Fe-2S]-Cluster verschmelzen.
Dass Tyr35
eine solche Scharnierfunktion übernimmt, belegt ein weiteres Experiment
des Teams. Dabei setzte es zwei ISCU2-Proteine ein, bei denen Tyr35
gegen andere Aminosäuren ausgetauscht wurde, die entgegengesetzte
elektrische Ladungen tragen. Ist deren gegenseitige Anziehung in der
Lage, den vermuteten Kontakt zwischen zwei Tyr35 der beiden
ISCU2-Proteine zu ersetzen? Einzeln eingesetzt, unterstützen diese
Proteine die Clusterbildung nicht; mischt man die beiden Proteine mit
den unterschiedlich geladenen Gruppen hingegen, so übernimmt die
elektrische Anziehung die Funktion, die ansonsten der Tyr35-Handschlag
ausübt. Das führt dazu, dass [2Fe-2S]-Cluster entstehen – fast wie in
normalen, unveränderten Zellen.
„Wir haben die Beschreibung des
Prozesses, durch den Eisen-Schwefel-Cluster entstehen, damit bis auf
eine einzelne Aminosäure heruntergebrochen“, fasst Lill zusammen. Dies
erlaube es nunmehr, den molekularen Mechanismus für den gesamten Zyklus
der [2Fe-2S]-Clusterbildung in den Mitochondrien zu beschreiben.
Professor
Dr. Roland Lill leitet das Institut für Zytobiologie und Zytopathologie
der Philipps-Universität und gehört dem Marburger „LOEWE-Zentrum für
Synthetische Mikrobiologie“ an. Im Jahr 2003 erhielt der Biochemiker den
Leibnizpreis, den am höchsten dotierten deutschen Wissenschaftspreis;
seit 2016 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft Lills Arbeit durch
das Reinhard-Koselleck-Programm, das besonders wagnisreiche
Forschungsprojekte unterstützt. Demnächst übernimmt Lill das
Vizepräsidentenamt der Von Behring-Röntgen-Stiftung, die ihn für sein
Lebenswerk mit der Von Behring-Röntgen-Medaille auszeichnete.
Publikation: Sven A. Freibert, Michal T. Boniecki & al.: N-terminal tyrosine of ISCU2 triggers [2Fe-2S] cluster synthesis by ISCU2 dimerization, Nature Communications 2021, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-021-27122-w