Neues Messverfahren verspricht Erkenntnisse über Innenleben von Planeten
Im Zentrum von Planeten finden sich extreme Zustände: Es herrschen Temperaturen von abertausend Grad, der Druck ist millionenfach größer als der Atmosphärendruck. Dies unmittelbar zu erforschen ist deswegen nur bedingt möglich – weshalb die Fachwelt versucht, entsprechende Extremverhältnisse mit aufwändigen Experimenten nachzustellen. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) hat ein etabliertes Messverfahren an diese Extrembedingungen angepasst und erfolgreich getestet.
Mit den Lichtblitzen des stärksten Röntgenlasers der Welt gelang es dem
Team, das wichtige Element Kohlenstoff mitsamt seinen chemischen
Eigenschaften ins Visier zu nehmen. Damit hat die Methode das Potential,
neue Einblicke in das Innere von Planeten sowohl innerhalb als auch
außerhalb unseres Sonnensystems zu liefern, wie das Fachmagazin Physics
of Plasmas (DOI: 10.1063/5.0048150) berichtet.
Die Hitze ist
unvorstellbar, der Druck ist enorm: Die Bedingungen im Inneren von
Jupiter oder Saturn sorgen dafür, dass die Materie dort in einem
ungewöhnlichen Zustand vorliegt: Sie ist dicht wie ein Metall, zugleich
aber elektrisch geladen wie bei einem Plasma. „Wir bezeichnen diesen
Zustand als warme dichte Materie“, erläutert Dominik Kraus, Physiker am
HZDR sowie Professor an der Universität Rostock. „Es ist ein
Übergangszustand zwischen Festkörper und Plasma, der im Inneren von
Planeten vorkommt, kurzzeitig aber auch auf der Erde auftreten kann,
etwa bei Meteoriteneinschlägen.“ Detailliert untersuchen lässt sich
dieser Materiezustand im Labor nur mit einigem Aufwand, zum Beispiel
indem starke Laserblitze auf eine Materialprobe feuern und sie für einen
Wimpernschlag erhitzen und komprimieren.
Doch wie sehen die
chemischen Eigenschaften dieser warmen dichten Materie aus? Diese Frage
lässt sich mit den bisherigen Verfahren nur unzulänglich beantworten.
Also ließ sich ein Team aus sechs Ländern etwas Neues einfallen. Basis
ist der stärkste Röntgenlaser der Welt, der European XFEL in Hamburg. In
einem kilometerlangen Beschleuniger werden hier extrem kurze und
intensive Röntgenpulse erzeugt. „Die Pulse haben wir auf dünne Folien
aus Kohlenstoff gelenkt“, beschreibt Erstautorin Katja Voigt vom
HZDR-Institut für Strahlenphysik. „Sie bestanden aus Graphit oder
Diamant.“ In den Folien wird ein kleiner Teil der Röntgenblitze an
Elektronen und deren unmittelbarer Umgebung gestreut. Das Entscheidende:
Diese gestreuten Blitze können verraten, welche Art von chemischer
Bindung die Kohlenstoffatome mit ihrer Umgebung eingegangen sind.
Erst Zweifel, dann Überraschung
Zwar
kommt dieses als Röntgen-Raman-Streuung bezeichnete Verfahren in der
Forschung schon länger zum Einsatz, etwa in den Materialwissenschaften.
Doch das Team um Voigt und Kraus schaffte es nun erstmals, es für
Versuche zur Erforschung von warmer dichter Materie nutzbar zu machen.
„Manche Fachleute hatten bezweifelt, dass das funktionieren kann“,
erzählt Kraus. Insbesondere mussten die Detektoren, die die von den
Kohlenstofffolien ausgehenden Röntgensignale aufschnappen, hocheffizient
und zugleich hochauflösend sein – eine große technische
Herausforderung. Doch die Analyse der Messdaten ließ deutlich erkennen,
welche Bindungszustände der Kohlenstoff eingegangen war. „Dass das so
gut geklappt hat, hat uns schon ein bisschen überrascht“, freut sich
Voigt.
Eines aber fehlt noch, um warme dichte Materie mit dem
Verfahren zu untersuchen – starke Laserblitze, die die Kohlenstofffolien
auf hohe Drücke und Temperaturen von bis zu mehreren 100.000 Grad
bringen. Dafür kommt die Helmholtz International Beamline for Extreme
Fields (HIBEF) ins Spiel, welche unter Federführung des HZDR am European
XFEL eingeweiht wurde und als eine der modernsten Forschungsanlagen
weltweit gilt. Hier sind mittlerweile leistungsstarke Laser installiert,
sodass erste Röntgen-Raman-Experimente in einigen Monaten stattfinden
könnten. „Ich bin sehr optimistisch, dass das funktionieren wird“, meint
Dominik Kraus.
Kometen-Crash im Labor
Die
wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das neue Verfahren bringen könnte,
sind vielfältig: Unter anderem ist unklar, wie viele leichte Elemente
wie Kohlenstoff oder Silizium im Erdkern stecken. Laborexperimente
könnten hier wichtige Hinweise liefern. „Die neue Methode ist nicht nur
auf Kohlenstoff anwendbar, sondern auch für andere leichte Elemente“,
erläutert Katja Voigt. Eine weitere Fragestellung: Im Inneren
sogenannter Gasriesen wie Jupiter oder Eisriesen wie Neptun dürften
komplexe chemische Reaktionen ablaufen – ebenso wie in fernen
Exoplaneten von ähnlicher Statur. Per Röntgen-Raman-Verfahren sollten
sich diese Prozesse im Labor nachvollziehen lassen. „Vielleicht lässt
sich damit ja das Rätsel lösen, welche Reaktionen dafür verantwortlich
sind, dass Planeten wie Neptun und Saturn mehr Energie abstrahlen als
sie eigentlich sollten“, hofft Kraus.
Mit der neuen Technik
sollten sich aber auch Kometeneinschläge im Mini-Maßstab simulieren
lassen: Falls Kometen einst organisches Material auf die Erde brachten –
könnte es beim Einschlag zu chemischen Reaktionen gekommen sein, die
die Entstehung des Lebens begünstigten? Und sogar für technische
Anwendungen birgt das Verfahren Potential: Im Prinzip scheint es
möglich, dass sich unter Extrembedingungen neuartige Werkstoffe bilden,
die faszinierende Eigenschaften zeigen. Ein Beispiel wäre ein
Supraleiter, der bei Raumtemperatur funktioniert und anders als
bisherige Materialien nicht aufwändig gekühlt werden muss. Für die
Technik wäre ein solcher Raumtemperatur-Supraleiter hochinteressant: Er
könnte Strom völlig verlustfrei leiten, ohne dass man ihn mit
Flüssigstickstoff oder Flüssighelium kühlen muss.
Publikation: K.
Voigt, M. Zhang, K. Ramakrishna, A. Amouretti, K. Appel, E. Brambrink,
V. Cerantola, D. Chekrygina, T. Döppner, R. Falcone, K. Falk, L.
Fletcher, D. Gericke, S. Göde, M. Harmand, N. Hartley, S. Hau-Riege, L.
Huang, O. Humphries, M. Lokamani, M. Makita, A. Pelka, C. Prescher, A.
Schuster, M. Šmíd, T. Toncian, J. Vorberger, U. Zastrau, T. Preston, D.
Kraus: Demonstration of an x-ray Raman spectroscopy setup to study warm
dense carbon at the high energy density instrument of European XFEL, in
Physics of Plasmas, 2021 (DOI: 10.1063/5.0048150)