Eine neue Studie liefert spannende Einblicke in das Leben von Meeresviren während der Frühjahrsblüte in der Nordsee. Vor der Hochseeinsel Helgoland fanden Forschende um Nina Bartlau vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie eine dynamische Virengemeinschaft, die die Sterblichkeit der Bakterien der Nordsee und dadurch den Kohlenstoffkreislauf dieses Lebensraumes stark beeinflussen kann. Sie entdeckten außerdem zahlreiche neue Virenarten, die im Labor isoliert werden konnten.
In jedem Liter Nordseewasser leben im Durchschnitt Hunderttausende
kleine Algen und eine Milliarde Bakterien. Als ob es damit nicht schon
voll genug wäre, stecken in jedem Liter auch noch zehn Milliarden Viren.
Sie befallen vorrangig Bakterien und haben einen großen und
vielfältigen Einfluss auf ihr Umfeld, indem sie beispielsweise
infizierte Zellen abtöten und zerfallen lassen oder deren Genexpression
oder Erbgut verändern. Nun liefert eine Studie neue Einblicke in das
Leben dieser Viren.
„Trotz ihrer Bedeutung sind Viren eher selten
ein Schwerpunkt der Meeresforschung“, sagt Erstautorin Nina Bartlau vom
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. „Meines Wissens liefern
wir hiermit die erste Studie, die sich mit Viren an Flavobakterien, den
häufigsten Bakterien in Frühjahrsblüten, in der Nordsee beschäftigt.“
Viele neue Viren entdeckt
Die
Forschenden fanden viele neue und sehr vielfältige Phagen in der
Nordsee. Als Phagen bezeichnet man Viren, die Bakterien befallen.
Entsprechend heißen die hier untersuchten Viren, die sich auf
Flavobakterien spezialisiert haben, Flavophagen. „Anzahl und Arten der
Phagen veränderten sich im Laufe der Frühjahrsblüte. Beispielsweise
fanden wir am Anfang der Blüte nur wenige Phagen, die über die Zeit
immer mehr wurden. Auch konnten wir zeigen, dass eine bestimmte
Phagenart nur über einen kurzen Zeitraum vorhanden ist und danach nur
noch ihre Verwandten“, erklärt Mitautorin Cristina Moraru vom Institut
für Chemie und Biologie der Meeresumwelt (ICBM) der Universität
Oldenburg. Über die Jahre war die Gemeinschaft der Viren aber recht
stabil, verschiedene Phagen konnten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren
gefunden und isoliert werden.
Bartlau und ihren Kolleginnen und
Kollegen haben also zahlreiche Indizien gesammelt, die deutlich belegen:
Viren haben großen Einfluss auf die Sterblichkeit der Bakterien in der
Frühjahrsblüte. Die Bakterien wiederum sind dafür verantwortlich, die
Reste abgestorbener Algen im Verlauf der Blüte abzubauen, wodurch das
von den Algen aus der Atmosphäre aufgenommene Kohlendioxid
großteils wieder frei wird. „Hier besteht eine mögliche Verbindung
zwischen den Viren und dem globalen Kohlenstoffkreislauf, deren weitere
Erforschung sicher sehr spannend wird“, so Bartlau.
Nun auch im Labor
Den
Bremer Forschenden gelang es zudem, zahlreiche verschiedene und bisher
unbekannte Viren im Labor in Bremen zu kultivieren. „Wir identifizierten
zehn neue Gattungen und auch zehn neue Familien“, so Bartlau. Viele
davon – um genau zu sein neun der zehn Gattungen und vier der zehn
Familien – gab es bisher gar nicht in Kultur. „Diese neuen Isolate
erlauben nun spannende Versuche im Labor, um unser Wissen über
Flavophagen und die Rolle von Viren im Meer weiter zu vertiefen“, betont
Bartlau. Und dieses Wissen geht dann weit über den Lebensraum Meer
hinaus, denn einige der hier isolierten Virenfamilien haben auch
Mitglieder, die im Süßwasser-, Abwasser- und Boden leben.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpg.de/17531717/
Quelle: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie (09/2021)
Publikation: Nina
Bartlau, Antje Wichels, Georg Krohne, Evelien M. Adriaenssens, Anneke
Heins, Bernhard M. Fuchs, Rudolf Amann, Cristina Moraru Highly diverse flavobacterial phages isolated from North Sea spring blooms. ISME Journal https://dx.doi.org/10.1038/s41396-021-01097-4 |