Ein neues, an der Empa entwickeltes chemisches Verfahren macht aus Baumwolle ein schwer entflammbares Gewebe, das trotzdem die hautfreundlichen Eigenschaften von Baumwolle behält. Herkömmliche flammhemmende Baumwolltextilien enthalten oft Rückstände von Formaldehyd und sind zudem unangenehm auf der Haut. Empa-Wissenschaftlern ist es gelungen, dieses Problem zu umgehen, indem sie ein physikalisch und chemisch unabhängiges Netzwerk im Inneren der Fasern schufen. So bleiben die positiven Eigenschaften der Baumwollfaser erhalten, die drei Viertel des weltweiten Bedarfs an Naturfasern in Kleidung und Heimtextilien ausmachen: Baumwolle ist hautfreundlich, weil sie erhebliche Mengen an Wasser aufnehmen kann und ein günstiges Mikroklima auf der Haut gewährleistet.
Für Feuerwehrleute und andere Einsatzkräfte ist die Schutzkleidung
die wichtigste Barriere. Für solche Zwecke wird hauptsächlich Baumwolle
als innere Textilschicht verwendet, die jedoch zusätzliche Eigenschaften
benötigt: Sie muss etwa feuerfest sein oder vor biologischen
Schadstoffen schützen. Dennoch sollte sie nicht wasserabweisend sein,
weil dies ein unangenehmes Mikroklima schaffen würde. Diese zusätzlichen
Eigenschaften können durch geeignete chemische Modifikationen in die
Baumwollfasern «eingebaut» werden.
Dauerhaft aber toxisch
«Bislang
war es immer ein Kompromiss, Baumwolle feuerfest zu machen», sagt der
Chemiker und Polymerexperte Sabyasachi Gaan aus der Empa-Abteilung
«Advanced Fibers». Waschbeständige, flammhemmende Baumwolle wird in der
Industrie durch die Behandlung des Gewebes mit Flammschutzmitteln
hergestellt, die sich chemisch mit der Zellulose in der Baumwolle
verbinden. Derzeit hat die Textilindustrie keine andere Wahl, als auf
Formaldehyd basierende Chemikalien zu verwenden – und Formaldehyd gilt
als krebserregend. Ein jahrzehntealtes Problem. Formaldehyd-basierte
Flammschutzmittel sind zwar langlebig, haben aber weitere Nachteile: Die
OH-Gruppen der Zellulose werden chemisch blockiert, was die Fähigkeit
der Baumwolle, Wasser aufzunehmen, erheblich mindert, und zu einem
unangenehmen Tragegefühl der Textilien führt. Gaan kennt die Chemie
der Baumwollfasern gut und hat an der Empa viele Jahre lang
Flammschutzmittel auf Basis der Phosphorchemie entwickelt, die bereits
in vielen industriellen Anwendungen eingesetzt werden. Nun ist es ihm
gelungen, einen eleganten und einfachen Weg zu finden, Phosphor in Form
eines unabhängigen Netzwerks in der Baumwolle zu verankern.
Chemisches Netzwerk zwischen den Baumwollfasern
Gaan
und seine Forscherkollegen Rashid Nazir, Dambarudhar Parida und Joel
Borgstädt, nutzten eine trifunktionale Phosphorverbindung
(Trivinylphosphinoxid), die die Fähigkeit besitzt, nur mit bestimmten
zugesetzten Molekülen (Stickstoffverbindungen wie Piperazin) zu
reagieren und ein eigenes Netzwerk im Inneren der Baumwolle zu bilden.
Dadurch wird die Baumwolle dauerhaft feuerbeständig, ohne die günstigen
OH-Gruppen zu blockieren. Darüber hinaus ist das physikalische
Phosphinoxid-Netzwerk auch noch hydrophil und nimmt zusätzlich
Feuchtigkeit auf. Diese flammhemmende Ausrüstung enthält kein
krebserregendes Formaldehyd, das vor allem die Textilarbeiter bei der
Herstellung gefährden würde, und die Phosphinoxid-Netzwerke waschen sich
auch nicht aus: Nach 50 Wäschen sind noch 95 Prozent des
Flammschutznetzwerks im Gewebe vorhanden. Um der an der Empa
entwickelten flammhemmenden Baumwolle zusätzliche Schutzfunktionen zu
verleihen, brachten die Forscher Silber-Nanopartikel in das Gewebe ein.
Dies funktioniert in einem einstufigen Prozess zusammen mit der
Erzeugung der Phosphinoxid-Netzwerke. Die Silber-Nanopartikel verleihen
der Faser antimikrobielle Eigenschaften und überleben selbst 50
Waschgänge.
Eine Hightech-Lösung aus dem Schnellkochtopf
«Wir
haben einen einfachen Ansatz verwendet, um die Phosphinoxid-Netzwerke
im Inneren der Zellulose zu fixieren», sagt Gaan. «Für unsere
Laborexperimente haben wir die Baumwolle zunächst mit einer wässrigen
Lösung von Phosphor- und Stickstoffverbindungen behandelt und
anschliessend in einem handelsüblichen Schnellkochtopf gedämpft, um die
Vernetzungsreaktion der Phosphor- und Stickstoffmoleküle zu
erleichtern.» Der Anwendungsprozess ist mit den in der Textilindustrie
bereits eingesetzten Behandlungsmaschinen kompatibel. «Das Dämpfen von
Textilien nach dem Färben, Bedrucken und Veredeln ist ein normaler
Schritt in der Textilindustrie. Es ist also keine zusätzliche
Investition nötig, um unser Verfahren anzuwenden», so der Empa-Chemiker. Inzwischen
ist diese neu entwickelte Phosphorchemie und ihre Anwendung durch eine
Patentanmeldung geschützt. «Es bleiben noch zwei wichtige Hürden», so
Gaan. «Für die zukünftige Kommerzialisierung müssen wir einen geeigneten
Chemikalienhersteller finden, der Trivinylphosphinoxid herstellen und
liefern kann. Ausserdem muss Trivinylphosphinoxid noch in der
EU-Chemikaliendatenbank REACH registriert werden, damit sie problemlos
gehandelt und transportiert werden kann.»
Quelle: Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (09/2021)
Publikation: R
Nazir, D Parida, J Borgstädt, S Lehner, M Jovic, D Rentsch, E Bülbül, A
Huch, S Altenried, Q Ren, P Rupper, S Annaheim, S Gaan; "In-situ
phosphine oxide physical networks: A facile strategy to achieve durable
flame retardant and antimicrobial treatments of cellulose", Chemical
Engineering Journal (2021); doi: 10.1016/j.cej.2020.128028