Die alten italienischen Geigenbaumeister Antonio Stradivari und Guarneri del Gesù griffen zu unerwarteten chemischen Hilfsmitteln, um den aussergewöhnlichen Klang ihrer Instrumente hervorzurufen. Das hat ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung des Paul Scherrer Instituts PSI nun herausgefunden. An der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS untersuchten sie Hobelspäne der wertvollen Geigen, die bei Reparaturen anfielen. Aus den Messergebnissen folgern die Forschenden, dass die alten Meister das eingesetzte Fichtenholz vor der mechanischen Bearbeitung grossflächig mit Pottasche, dem Kalium-Aluminium-Salz Alaun oder anderen Substanzen behandelten.
Die Geigen von Antonio Stradivari aus dem 17. und 18.
Jahrhundert sind aufgrund ihres einzigartigen Klangs weltberühmt: Für
viele gilt er als der beste Geigenbauer der Geschichte, und seine
Saiteninstrumente werden teilweise für viele Millionen Schweizer Franken
gehandelt. Ebenso angesehen sind die Geigen von Guarneri del Gesù, der
wie Stradivari im italienischen Cremona ansässig war.
Für die
Wissenschaftswelt war es lange Zeit ein Rätsel, wie die alten Meister
solch aussergewöhnlich lebhaft klingenden Instrumente hinbekamen. Ist
ihr Geheimnis die Bauart? Verwendeten die Cremoneser ein Holz besonderer
Qualität, dessen Zusammensetzung aufgrund der veränderten klimatischen
Bedingungen nicht reproduzierbar ist? Oder sind es sogar holzzersetzende
Schimmelpilze, die dafür sorgen, dass selbst ein sehr leise gespielter
Ton in einer großen Konzerthalle weithin hörbar ist?
Die Chemie macht die Musik
Eine
Studie unter Leitung von Hwan-Ching Tai an der National Taiwan
University in Taipeh bestätigt nun eine andere Theorie: Die alten
Meister behandelten das Geigenholz mit Chemikalien, welche die Struktur
des Holzes nachhaltig veränderten. Das zeigten Untersuchungen zur
chemischen Zusammensetzung des Geigenholzes am PSI.
Da die
wertvollen Originalgeigen nicht für Messungen verfügbar sind, sammelten
Forschende um Co-Autor und Geigenbauer Joseph Nagyvary, emeritierter
Professor an der Texas A&M University in den USA, in mühevoller
Arbeit im Laufe der letzten drei Jahrzehnte Hobelspäne und Holzsplitter,
die bei Reparaturen der Instrumente anfielen. Diese wurden jetzt an der
Phoenix-Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS vermessen
und mit modernen Geigenholzproben verglichen.
«Wir haben uns den
Gehalt und die Verteilung von leichten Elementen in den Holzproben mit
der Methode der Röntgenspektroskopie angesehen», erzählt PSI-Forscher
Thomas Huthwelker vom Labor für Femtochemie. «Dabei fanden wir unter
anderem, dass in allen Proben der Guarneri-Geigen relativ hohe Mengen
Aluminium gleichmässig im Holz verteilt waren.» Auch mehrere Proben von
Stradivari-Geigen enthielten erhöhte Mengen Aluminium.
Nach
Ansicht der Forschenden spricht diese gleichmässige Verteilung dafür,
dass das Holz behandelt wurde. Plausibel ist etwa, dass das Material in
stark konzentrierte aluminiumhaltige Lösungen eingelegt wurde. Infrage
kommt dafür Alaun, ein Kalium-Aluminium-Sulfat. Die Aluminiumatome
vernetzten die einzelnen Holzfasermoleküle miteinander – das
stabilisierte das Holz von innen heraus. «Natürlich können wir nicht
wissen, was genau damals geschehen ist», sagt Huthwelker. «Aber eine
derartige Behandlung wäre eine gute Erklärung. Es passt alles zusammen.»
Meister der Manipulation
Neben
der Röntgenspektroskopie bedienten sich die Forschenden noch anderer
analytischer Methoden, um den Geheimnissen der Cremona-Geigen auf den
Grund zu gehen. Bei allen Messungen zeigte sich laut Studie eine
«unnatürliche elementare Zusammensetzung» des Holzes.
Bei den
Proben der Stradivari-Geigen fanden sich hohe Mengen Natrium, Chlor und
Kalium, was auf eine Behandlung mit Pottasche oder gewöhnlichem Kochsalz
hindeutet. Auch Pottasche bricht die Polymermoleküle des Holzes
teilweise auf und führt zu einer bleibenden Strukturveränderung.
Kochsalz wiederum verhindert die Austrocknung des Holzes. Bei den
Guarneri-Geigenproben wiesen die Forschenden auch Kalzium nach, was für
eine Behandlung mit Kalk sprechen würde. Genau wie Pottasche hilft es
dabei, Harzreste, Zucker, Öle und andere unliebsame Verunreinigungen im
Holz zu entfernen.
«Unsere Daten lassen vermuten, dass die alten
Meister werkstofftechnische Experimente durchführten, um Resonanzkörper
mit einzigartigen Eigenschaften zu erschaffen», schreiben die
Forschenden. Die alten Geigenbaumeister wussten unbehandeltes Holz
offensichtlich wenig zu schätzen – ganz im Gegensatz zu vielen modernen
Geigenbauern.
Publikation: Materials Engineering of Violin Soundboards by Stradivari and Guarneri C.-K.
Su, S.-Y. Chen, J.-H. Chung, G.-C. Li, B. Brandmair, T. Huthwelker,
J.L. Fulton, C.N. Borca, S.-J. Huang, J. Nagyvary, H.-H. Tseng, C.-H.
Chang, D.-T. Chung, R. Vescovi, Y.-S. Tsai, W. Cai, B.-J. Lu, J.-W. Xu,
C.-S. Hsu, J.-J. Wu, H.-Z. Li, Y.-K. Jheng, S.-F. Lo, H. Ming Chen,
Y.-T. Hsieh, P.-W. Chung, C.-S. Chen, Y.-C. Sun, J. C. C. Chan, H.-C.
Tai Angewandte Chemie International Edition, 01. Juni 2021 (online) DOI: 10.1002/anie.202105252 https://dx.doi.org/10.1002/anie.202105252