Tuberkulose ist auch heute noch die Infektionskrankheit, die weltweit die meisten Menschenleben fordert. Sie wird durch Mycobacterium tuberculosis verursacht, ein Bakterium, dass Zellen in der Lunge infiziert. Dort ist der Erreger für die meisten Antibiotika kaum erreichbar. Außerdem nehmen Resistenzen gegenüber den bisherigen Medikamenten zu. Um die Behandlung mit Reserveantibiotika zu verbessern, haben Forscherinnen und Forscher vom TWINCORE gemeinsam mit Partnern von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland einen Weg gefunden, die Wirkstoffe direkt in die befallenen Zellen zu transportieren. Dazu verpacken sie die Antibiotika in sogenannten Liposomen.
Zur Behandlung von multiresistenten Mykobakterien, gegen die die meisten
Antibiotika nicht mehr wirken, stehen nur noch wenige
Reserveantibiotika zur Verfügung. Sie haben den Nachteil, dass sie nur
schwer in die Zellen eindringen können, in denen das Bakterium vorkommt.
Die hohen Konzentrationen der Medikamente, die deswegen notwendig sind,
müssen intravenös verabreicht werden und haben schwere Nebenwirkungen.
Wird die Therapie zu früh abgebrochen, bilden die Keime neue Resistenzen
aus. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, haben Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler am TWINCORE nun einen innovativen Ansatz
entwickelt.
„Wir haben die Antibiotika in kleine Lipidtröpfchen
verpackt, die zusätzlich mit Zuckermolekülen bestückt sind“, sagt
Verónica Durán, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
Experimentelle Infektionsforschung und Erstautorin der Veröffentlichung.
„Diese Liposomen genannte Nanopartikel interagieren mit den gleichen
Rezeptoren wie die Mykobakterien und werden deshalb über den gleichen
Transportweg in die Zellen geschleust wie die Erreger, quasi wie mit
einem trojanischen Pferd.“ Der Wirkstoff gelangt dann genau dorthin, wo
er gebraucht wird: direkt in die Wirtszellen von Mycobacterium
tuberculosis, die sogenannten Alveolarmakrophagen in der Lunge.
Die
Vorteile dieser Nanoformulierung liegen auf der Hand. „Wir können
direkt die infizierten Immunzellen in der Lunge behandeln“, sagt Theresa
Graalmann, forschende Ärztin an MHH und TWINCORE. „Möglicherweise
könnte man so die Dosierung der Medikamente senken oder die Dauer der
Therapie verkürzen.“ Graalmann hat das Projekt gemeinsam mit Ulrich
Kalinke, dem Direktor des Instituts für Experimentelle
Infektionsforschung und Geschäftsführendem Direktor des TWINCORE und
Elena Grabski, die mittlerweile am Paul-Ehrlich-Institut in Langen tätig
ist, geleitet.
Um zu den gewonnenen Erkenntnissen zu gelangen,
setzten die Forscherinnen und Forscher auch die CRISPR/Cas9-Technologie
ein. Dieses häufig als „Genschere“ bezeichnete molekularbiologische
System zur Editierung von Genen wurde im vergangenen Jahr mit dem
Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Es kommt mittlerweile routinemäßig
im Labor zum Einsatz, zumeist in etablierten Zelllinien. „Um den
Mechanismus des Liposomeneintritts in Zellen zu verstehen, haben wir
allerdings primäre menschliche Immunzellen verändert, also solche, die
direkt aus Blutproben von Spenderinnen und Spendern isoliert wurden“,
sagt Berislav Bošnjak, Wissenschaftler am Institut für Immunologie der
MHH. Diese Zellen sind im Labor viel schwieriger zu handhaben als
Zelllinien. „Das zeigt einmal mehr, wie nützlich CRISPR/Cas9 in der
Forschung mittlerweile geworden ist.“
Der nächste Schritt wäre
nun der Transfer in die klinische Anwendung. „Die Weiterentwicklung ist
recht kostspielig. Dafür würden wir zusätzliche finanzielle
Unterstützung brauchen, etwa von einem Investor“, sagt Forschungsleiter
Ulrich Kalinke. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Dennoch ist er
sicher: „Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses Prinzip eines Tages
für die Behandlung der Tuberkulose und auch anderer
Infektionskrankheiten durchsetzen wird.“