Neue Einblicke in die Evolution wasserlebender Säugetiere: Die glatte, fast haarlose Haut von Flusspferden und Walen sieht zwar ähnlich aus, hat sich aber unabhängig voneinander entwickelt. Das zeigen Genomanalysen und Gewebeuntersuchungen, an denen Michael Hiller vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik beteiligt war. Bisher dachte man, die ans Wasserleben angepasste Haut dieser Säugetiere gehe auf einen gemeinsamen amphibischen Vorfahren zurück. Die in „Current Biology“ veröffentlichte Studie widerspricht jedoch dieser Annahme. Sie legt nahe, dass ihr letzter gemeinsamer Vorfahre ein Landbewohner war. „Aquatische“ Haut mit speziellen Eigenschaften ist demnach mehrmals in der Stammesgeschichte der Säugetiere entstanden.
„Wie Säugetiere das Festland verließen, um im Wasser zu leben,
ist eine der faszinierendsten Geschichten der Evolution – vielleicht nur
übertroffen von der Evolution des Fliegens“, sagt Dr. John Gatesy,
leitender Forscher in der Abteilung für Zoologie der Wirbeltiere des
American Museum of Natural History in New York und Autor einer kürzlich
in „Current Biology“ veröffentlichten Studie. „Die Vorfahren der
amphibischen Flusspferde wurden lange als Zwischenstufe in der
Entwicklung wasserlebender Säugetiere betrachtet. Doch unsere
Erkenntnisse widersprechen diesem Dogma.“
Die Studie, an der
Prof. Dr. Michael Hiller vom LOEWE-Zentrum für Translationale
Biodiversitätsgenomik (TBG) bei Senckenberg in Frankfurt mitgearbeitet
hat, bestätigt den gemeinsamen Vorfahren der Flusspferde und Wale,
deutet aber auf einen Landbewohner hin. Die Erkenntnisse des
deutsch-amerikanischen Forscherinnen*teams basieren auf anatomischen
Untersuchungen der Säugerhaut sowie auf Genomanalysen. Demnach ist eine
ans Wasserleben angepasste Haut in der Evolution der Säugetiere
mindestens zwei Mal unabhängig voneinander entstanden – bei den
amphibischen Flusspferden und den aquatischen Walen, zu deren Ordnung
zoologisch gesehen auch Delfine gehören.
Auch wenn sie sich
optisch unterscheiden, haben Flusspferde und Wale einiges gemeinsam: Sie
gebären und säugen ihren Nachwuchs unter Wasser, ihnen fehlen
Talgdrüsen sowie ein Fell. Tatsächlich sind sie einander die nächsten
lebenden Verwandten. Fest steht auch: Sie haben einen gemeinsamen
Vorfahren, der vor etwa 55 Millionen Jahren lebte. Wie, wann und ob der
Urahne ins Wasser ging, darüber diskutieren Forscher*innen hingegen
noch. „Die einfachste Hypothese ist, dass der Vorfahre von Flusspferden
und Walen bereits amphibisch war“, sagt Prof. Dr. Mark Springer,
Studienleiter und Professor für Biologie an der University of California
in Riverside. „Aber die Evolution nimmt nicht immer den kürzesten Weg.“
Auf
den Spuren der Evolution nahm das Forscher*innenteam die Haut von
Flusspferden sowie Vertretern der Ordnung der Wale (Cetacea) unter die
Lupe und untersuchte Details der Gewebestruktur. Außerdem analysierten
sie die DNA der Säuger, um für die Haut zuständige Gene zu finden und zu
vergleichen. Dabei sequenzierten sie erstmals die gesamte
Erbinformation des Zwergflusspferdes (Choeropsis liberiensis), einer der
zwei noch lebenden Arten aus der Familie der Flusspferde.
„Die
molekularen Signaturen belegen, dass sich die Merkmale ‚aquatischer‘
Haut, die wir bei Flusspferden und Walen finden, unabhängig voneinander
entwickelt haben“, sagt Evolutionsgenomiker Hiller, der auch am
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden
geforscht hat. „Die DNA verrät uns zudem: Die zugrundeliegenden Gene
haben sich in der Wal-Stammlinie viel früher verändert als in der
Flusspferd-Stammlinie.“ Wal-Vorfahren haben also viel früher angefangen,
sich ans Wasserleben anzupassen – im Hinblick auf ihre Haut. Doch wie
läuft das eigentlich?
„Entwickelt eine Tiergruppe einen
aquatischen Lebensstil, wird ihre Haut stromlinienförmiger und
einheitlicher“, sagt Prof. Dr. Maksim Plikus, Studienautor und
Hautbiologe von der University of California, Irvine. „Haare, Nägel und
Schweißdrüsen können für das Leben unter Wasser hinderlich sein und
deshalb langfristig verschwinden.“ Solche drastischen Anpassungen finden
sich bei Walen: Sie haben keine Nägel oder Schweißdrüsen, nur wenige
„Schnurrhaare“ und sehr dicke Haut. Flusspferde haben einige
ursprüngliche Merkmale behalten oder abgewandelt. Sie besitzen zum
Beispiel Hufe und spezialisierte Schweißdrüsen, deren orangefarbenes
Sekret, sogenannter Blutschweiß, die Haut vor Bakterien und Sonnenbrand
schützen soll.
Verlieren oder verändern sich Merkmale im Laufe
der Stammesgeschichte, können Forscher*innen das in der DNA
nachverfolgen. Zum Beispiel dadurch, dass zugrundeliegende Gene durch
Mutationen ausgeschaltet sind oder gar nicht mehr an die Nachfahren
weitergegeben werden. Die Genome der Flusspferde und der Ordnung der
Wale erzählen diesbezüglich unterschiedliche Evolutionsgeschichten.
„Die
Flusspferd-Linie zeigt völlig andere Mutationen beim Ausschalten der
Hautgene als die Cetacea-Linie“, sagt Studienleiter Springer. Trotz
unzähliger Mutationen tauchte keine einzige in beiden Gruppen auf. „Gäbe
es einen gemeinsamen amphibischen oder aquatischen Vorfahren, hätten
wir einige Übereinstimmungen finden müssen.“
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (04/2021)
Publikation: Mark
S. Springer, Christian F. Guerrero-Juarez, Matthias Huelsmann, Matthew
A. Collin, Kerri Danil, Michael R. McGowen, Ji Won Oh, Raul Ramos,
Michael Hiller, Maksim V. Plikus, John Gatesy (2021): Genomic and
anatomical comparisons of skin support independent adaptation to life in
water by cetaceans and hippos. Current Biology 31, 1-16. https://doi.org/10.1016/j.cub.2021.02.057