So genau wie noch nie: Theoretische Physiker berechnen den Radius des Protons |
Berechnungen auf Basis grundlegender Theorien der Teilchenphysik könnten dazu beitragen, das Proton-Radius-Rätsel zu lösen. Jetzt ist es theoretischen Physikern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) um Prof. Dr. Hartmut Wittig erstmals gelungen, ihre Rechnungen hinreichend präzise zu gestalten, um hieraus einen Hinweis abzuleiten: Die aktuellen Ergebnisse sprechen für einen kleineren Proton-Radius.
Sämtliche bekannten Atomkerne bestehen aus Protonen und
Neutronen – und doch sind viele Eigenschaften dieser allgegenwärtigen
Nukleonen noch nicht verstanden. So gibt insbesondere der Radius des
Protons seit einigen Jahren Rätsel auf: Im Jahr 2010 sorgte eine neue
Messung des Proton-Radius mithilfe der Laserspektroskopie von myonischem
Wasserstoff für Aufsehen – in diesem „besonderen“ Wasserstoff ist das
Elektron in der Hülle des Atoms ersetzt durch seinen schweren
Verwandten, das Myon, wodurch sich die Genauigkeit der Messung erheblich
steigern ließ. Die Forscher ermittelten einen deutlich kleineren Wert,
als er aus entsprechenden Messungen an „normalem“ Wasserstoff und der
Bestimmung des Protonradius aus Elektron-Proton-Streuexperimenten
bekannt war. Die große Frage, die Physikerinnen und Physiker seitdem
umtreibt: Verbirgt sich hinter der Abweichung eine neue Physik jenseits
des Standardmodells oder handelt es sich „lediglich“ um systematische
Unsicherheiten der verschiedenen Messmethoden?
Um Licht ins
Dunkel zu bringen und die unterschiedlichen Ergebnisse einzuordnen,
spielen theoretische Berechnungen eine wichtige Rolle. Eine Gruppe von
Physikern am Exzellenzcluster PRISMA? zielt dabei insbesondere auf die
sogenannten elektromagnetischen Formfaktoren ab. „Diese gilt es, aus der
grundlegenden Theorie der Quantenchromodynamik (QCD) heraus zu
ermitteln“, erläutert Prof. Dr. Hartmut Wittig. „Das bedeutet, wir
berechnen diese Größen ohne dass experimentell gemessene Daten in unsere
Rechnung einfließen.“ Die elektromagnetischen Formfaktoren beschreiben
die Verteilung von elektrischer Ladung und Magnetisierung innerhalb des
Protons. Auf ihrer Messung beruht auch die experimentelle Bestimmung des
Proton-Radius aus Elektron-Proton-Streuexperimenten. Sie sind also eine
wichtige Größe im Proton-Radius-Rätsel.
Das Kräftespiel im Atomkern beschreiben
Die
Quantenchromodynamik beschreibt das Kräftespiel im Atomkern: Dort
bindet die starke Wechselwirkung die Quarks als elementare Bausteine der
Materie zu Protonen und Neutronen zusammen und wird durch Gluonen als
Austauschteilchen vermittelt. Um diese Vorgänge mathematisch simulieren
zu können, greifen die Mainzer Wissenschaftler auf die sogenannte
Gitterfeldtheorie zurück. Ähnlich wie in einem Kristall werden die
Quarks dabei auf die Punkte eines Raum-Zeit-Gitters verteilt. Mit
speziellen Simulationsverfahren lassen sich dann die Eigenschaften der
Nukleonen unter Einsatz von Supercomputern berechnen.
„In Bezug
auf die Größe des Protons gab es in letzter Zeit sehr viele Aktivitäten
bei solchen Gitterrechnungen, aber bis dato reichte deren Präzision
nicht aus, um zwischen der Messung an myonischem Wasserstoff und dem
Ergebnis aus der Elektron-Proton-Streuung zu unterscheiden“, so Hartmut
Wittig. „Wir haben die elektromagnetischen Formfaktoren nun erstmals so
genau berechnet, dass sie uns erlauben, uns in die Diskussion um den
Proton-Radius einzuschalten.“
Denn aus den Formfaktoren wiederum
lässt sich der Proton-Radius in mehreren Schritten bestimmen. Das
Ergebnis ist ein weiterer Hinweis auf ein kleineres Proton – und das
erstmals auf Basis einer von den bisherigen Messungen unabhängigen
Methode. Ganz ausschließen können die Physiker den größeren Wert nach
wie vor nicht. „Der Fehler in unseren Berechnungen ist zwar klein genug,
um den kleineren Wert zu bevorzugen, aber immer noch zu groß, um den
größeren Wert endgültig verwerfen zu können“, resümiert Hartmut Wittig.
„Wir haben aber bereits Ideen, wie wir die Genauigkeit unserer
Rechnungen noch weiter steigern können.“
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Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz (03/2021)
Publikation: D.
Djukanovic, T. Harris, G. von Hippel, P.M. Junnarkar, H B. Meyer, D.
Mohler, K. Ottnad, T. Schulz, J. Wilhelm, and H. Wittig, Isovector
electromagnetic form factors of the nucleon from lattice QCD and the
proton radius puzzle arXiv:2102.07460 [hep-lat] |