Wissenschaftler verknüpfen erstmals Silizium-Atome auf Oberflächen
Ein Team aus verschiedenen Arbeitsgruppen der Chemie und Physik hat es erstmals geschafft, Siliziumatome auf Oberflächen zu verknüpfen. Die Forscher erhoffen sich von Silizium-Polymeren innovative Materialeigenschaften und neue, aussichtsreiche Kandidaten für mögliche Anwendungen.
Um elektronische Geräte herzustellen, sind Materialien wie
Galliumarsenid äußerst wichtig. Da ihre Vorkommen jedoch begrenzt sind
oder von ihnen Gesundheits- und Umweltgefährdungen ausgehen, suchen
Fachleute nach alternativen Materialien. Kandidaten sind sogenannte
konjugierte Polymere. Diese organischen Makromoleküle haben
Halbleiter-Eigenschaften, können also unter bestimmten Bedingungen
elektrischen Strom leiten. Eine Möglichkeit, sie in der gewünschten
zweidimensionalen, also extrem flachen Form herzustellen, bietet die
Oberflächenchemie, ein Forschungsgebiet, welches sich 2007 etablierte.
Seither wurden viele Reaktionen entwickelt und für eine mögliche
Anwendung interessante Materialien hergestellt. Die meisten Reaktionen
bauen auf der Ausbildung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen auf. Ein
Team aus verschiedenen Arbeitsgruppen der Chemie und Physik an der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat nun
Silizium-Silizium-Bindungen zur Konstruktion eines Polymers genutzt –
eine Premiere in der Oberflächenchemie.
Eine Hürde war bislang
die Verknüpfung von Siliziumatomen. Ein solcher Aufbau von Polymeren ist
mit Methoden der klassischen Synthese-Chemie, nämlich in einer Lösung,
kompliziert. Dass die münsterschen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler es nun erstmals geschafft haben, ein Silizium-Polymer
herzustellen, verdanken sie den Möglichkeiten der Oberflächenchemie. Der
Trick dabei: Die Verknüpfung der Atome findet auf einer extrem glatten
Metalloberfläche statt, auf die die Moleküle aufgedampft werden. Dadurch
entstehen sehr dünne Materialschichten. Wird der übliche Kohlenstoff
durch Silizium ersetzt, lassen sich bereits bei milden
Reaktionsbedingungen lange Polymere erhalten. Die Wissenschaftler
erhoffen sich von Silizium-Polymeren innovative Materialeigenschaften
und neue, aussichtsreiche Kandidaten für mögliche Anwendungen. Die
Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Nature Chemistry“
veröffentlicht.
Methodisches Vorgehen
Chemiker um
Prof. Dr. Armido Studer stellten Moleküle her, die aus Silylgruppen
bestehen, verbunden durch einen sogenannten organischen Linker. Physiker
aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Harald Fuchs untersuchten ihre
Reaktivität auf metallenen Oberflächen (Gold oder Kupfer). Sie zeigten:
Die Reaktion der Silizium-Wasserstoff-Bindungen innerhalb der
Silylgruppen fand bereits bei Raumtemperatur statt, wohingegen eine
ähnliche Kupplung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen normalerweise
Temperaturen über 300 Grad Celsius benötigt. Im nächsten Schritt klärten
die Forscher die exakte Struktur der gebildeten Verknüpfungen auf: Zwei
Wasserstoffatome werden von jedem Siliziumatom entfernt, um die
hochgeordneten Strukturen aufzubauen. Tiefergehende Analysen zeigten
zusätzlich eine Bindung der Siliziumatome an die Metalloberfläche auf.
Da
die Struktur des fertigen Polymers mit der üblichen
Rastertunnelmikroskopie (RTM) nicht einwandfrei aufgeklärt werden
konnte, setzte die Arbeitsgruppe von Chemiker Prof. Dr. Johannes
Neugebauer hierfür computerchemische Methoden ein und simulierte die
RTM-Bilder verschiedener potenzieller Produkte. Um die Charakterisierung
des Produktes weiter zu unterstützen, nutze die Gruppe von Physiker Dr.
Harry Mönig eine speziell für diese Fragestellungen vorgesehene
Methode, basierend auf der Atomkraftmikroskopie. Neben der Abbildung des
gesamten Produktes ermöglichte diese, die Wasserstoffatome mit höchster
Auflösung zu lokalisieren. Der Gruppe von Johannes Neugebauer gelang es
zudem, ein mechanistisches Model zu entwickeln und die nötigen
Reaktionsschritte zur Ausbildung des gefundenen Produktes zu simulieren.
Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln
„In
zukünftigen Studien könnten die Eigenschaften der Polymere bezüglich
ihrer elektrischen Leitfähigkeit untersucht werden. Außerdem könnte man
das molekulare Design variieren, um die Eigenschaften für eine Anwendung
der Materialien als organische Halbleiter anzupassen“, sagt Chemiker
Dr. Henning Klaasen. „Darüber hinaus könnte mit dieser Methode eine
komplett neue Strategie zur molekularen Veränderung von Oberflächen und
Nanopartikeln erschlossen werden“, ergänzt Physik-Doktorand Lacheng Liu.
In
Zukunft will das Team die Oberflächenchemie neuer siliziumhaltiger
funktioneller Gruppen tiefergehend erkunden und strebt die Einführung
weiterer funktioneller Gruppen an: „Wir haben gezeigt, dass nicht nur
Kohlenstoff zum Aufbau faszinierender Strukturen genutzt werden kann.
Die diversen Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln – von Chemikern und
Physikern, von Theoretikern und Praktikern – erforderten einen hohen
Grad an Kreativität. Dies hat es uns ermöglicht, einen neuen Weg in der
oberflächenchemischen Bindungsausbildung zu eröffnen”, fasst
Chemie-Doktorandin Melanie Witteler zusammen.
Publikation: Lacheng
Liu, Henning Klaasen, Melanie C. Witteler, Bertram Schulze Lammers,
Alexander Timmer, Huihui Kong, Harry Mönig, Hong-Ying Gao?, Johannes
Neugebauer, Harald Fuchs und Armido Studer (2021): Polymerization of
silanes through dehydrogenative Si–Si bond formation on metal surfaces.
Nature Chemistry; DOI: 10.1038/s41557-021-00651-z https://www.nature.com/articles/s41557-021-00651-z