Kugelrund anstatt oval: Zellbiologen verändern Form von Hefezellen
Forschern aus Ulm und Edinburgh ist es gelungen, mit Hilfe einer Punktmutation in einem Motor-Protein (Typ V Myosin) die Form von Hefezellen zu verändern. Die Einzeller waren in der mutierten Variante nicht mehr oval, sondern kugelrund. In ihrer Studie konnten sie außerdem aufklären, welche Rolle das sogenannte Polarisom dabei spielt. Dieser Proteinkomplex bildet eine Art Zielfeld, in dem die Vesikel anlanden, die das Baumaterial für die Bildung von Tochter-Knospen herbeischaffen. Wie die Wissenschaftler nachwiesen, wird die Form und Position des Polarisoms und damit die Grundform der Hefezellen entscheidend von der Wechselwirkung mit dem Motor-Protein geprägt.
Hefepilze sind ganz besondere Einzeller, die dem Menschen beim
Brotbacken und Bierbrauen wertvolle Dienste leisten. Sie lieben Zucker
und können diesen an der Luft zu Kohlendioxid veratmen oder unter
Luftabschluss zu Alkohol umwandeln. Wenn Hefepilze „Hunger“ haben und in
ihrer Umgebung nach Nahrung suchen, neigen sie zur Kettenbildung. „Das
heißt die Zellen, die sich durch Knospenbildung vermehren, reihen sich
in einer Richtung aneinander, um sich einer möglichen Nahrungsquelle
anzunähern“, erklärt Professor Nils Johnsson, Leiter des Instituts für
Molekulare Genetik und Zellbiologie an der Universität Ulm. Dabei kommt
ihnen ihre leicht gestreckte und ovale Form zugute.
Der Ulmer
Wissenschaftler hat gemeinsam mit Institutskollegen und Zellbiologen aus
Edinburgh herausgefunden, welche nanophysikalischen Mechanismen dafür
sorgen, dass Hefe-Zellen in ihrer Grundform oval sind. Mit einer
gezielten Mutation gelang es den Forschern, die Zellform zu verändern:
von oval in kugelrund. Über die Mutation konnten die Wissenschaftler
schließlich auf den regulären zellbiologischen Mechanismus schließen,
der für die gestreckte Grundform der Hefezelle verantwortlich ist.
„Hefen
sind einzellige Pilze, die sich durch die sogenannte Sprossung
vermehren. Das heißt, an der Mutterzelle bildet sich eine
Tochter-Knospe. An der Stelle, an der die Tochter-Knospe aussprosst,
werden neue Zellwände gebildet, die die neu geborene Hefezelle
umschließen. Diese Zell-Teilungs- und Wachstumsprozesse verlaufen am
sogenannten Polarisom. Der Begriff bezeichnet ein „quirliges“
Protein-Protein-Interaktionsnetzwerk, das unterhalb der Zellmembran an
der Wachstumsspitze der Hefe-Zelle sitzt. Das Polarisom bildet das
Zielfeld für Vesikel, die neues Material für das Wachstum der äußeren
Zellwand und der inneren Zellmembran liefern. „Ist das Zielfeld
kompakt und stabil wie eine Kappe, wächst die Zelle an diesem Punkt
gerichtet in die Länge“, erläutert Dr. Alexander Dünkler. Der Erstautor
der im Fachmagazin „Journal of Cell Biology“ veröffentlichten Studie ist
Postdoktorand an Johnssons Institut.
Für ihre Hefe-Studie hat
das Forscherteam eine Punktmutation in das Genom der Hefe eingeführt,
die dafür sorgt, dass die von ihnen entdeckte Verbindung zwischen
Motorprotein (Typ V Myosin) und Polarisom getrennt wird. Als Folge ist
das Polarisom über die gesamte Membran der sprossenden Hefezelle
verteilt, und die Knospe wächst gleichmäßig rund. „Das bedeutet im
Umkehrschluss, dass die Interaktion mit dem Motorprotein eine
Schlüsselrolle bei der intrazellulären Selbstorganisation des Polarisoms
spielt und damit letztendlich auch die Zellform entscheidend
beeinflussen kann“, so Dünkler.
Die subzellulären Mechanismen
dieser Interaktion beschreiben die Wissenschaftler so: Motorproteine
bewegen die sogenannten Polarisom-Nanokomplexe entlang von
Aktinfilamenten – wie auf Schienen – hin- und her, bis die perfekte
„Park-Position“ unterhalb der Membran gefunden ist. Das Erstaunliche:
jeder Polarisom-Nanokomplex hat selbst auch die Fähigkeit,
Aktinfilamente zu bilden, auf denen ein weiterer Polarisom-Nanokomplex
ankoppeln kann. Über diesen Verstärkungsmechanismus entwickelt sich eine
Dynamik, die dazu führt, dass die kompakte Struktur des Polarisoms
gleichzeitig stabil und anpassungsfähig bleibt.
Um die
Nanomechanismen zu aufzuklären, die für diese intrazellulären Prozesse
und Mikrostrukturen verantwortlich sind, haben die Ulmer Wissenschaftler
mit der Hilfe von Professor Andrew B. Goryachev, Systembiologe an der
Universität Edinburgh, ein biophysikalisches Modell entwickelt und am
Computer realisiert. Die daraus abgeleiteten Vorhersagen konnten
schließlich experimentell bestätigt werden. „Der von uns beschriebene
Mechanismus zur Selbstorganisation eines Proteinnetzwerks sollte recht
generell sein. Das heißt, er gilt auch für ganz ähnliche
Proteinkomplexe, die als Zielfelder für Transport-Vesikel in anderen
Organismen fungieren“, sind sich die Wissenschaftler aus Ulm und
Edinburgh sicher. Gefördert wurde dieses Projekt zur zellbiologischen
Grundlagenforschung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Publikation: Type V Myosin focuses the polarisome and shapes the tip of yeast cells Alexander Dünkler, Marcin Leda, Jan-Michael Kromer, Joachim Neller, Thomas Gronemeyer, Andrew B. Goryachev, and Nils Johnsson, in: Journal of Cell Biology, March 3 2021, doi: 10.1083/jcb.202006193