Wenn ein Muskel wächst, weil sein Besitzer selbst noch im Wachstum ist oder aber angefangen hat, regelmäßig Sport zu treiben, bildet ein Teil der im Muskel enthaltenen Stammzellen neue Muskelzellen. Gleiches geschieht, wenn ein Muskel verletzt wurde und er zu heilen beginnt. Parallel dazu müssen die Muskelstammzellen aber auch weitere Stammzellen bilden, sich also selbst erneuern, da ihr Vorrat ansonsten sehr schnell aufgebraucht wäre. Dazu ist es erforderlich, dass sich die am Muskelwachstum beteiligten Zellen untereinander verständigen.
Gesteuert wird das Muskelwachstum über den Notch-Signalweg
Bereits
vor zwei Jahren hatte ein Team um Professorin Carmen Birchmeier, die
Leiterin der Arbeitsgruppe „Entwicklungsbiologie / Signaltransduktion in
Nerven und Muskelzellen“ am Berliner Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gezeigt, dass die
Entwicklung von Stammzellen zu Muskelzellen mithilfe zweier Proteine,
Hes1 und MyoD, gesteuert wird, die in den Vorläuferzellen oszillieren –
also periodisch schwankend mal in größeren, mal in kleineren Mengen
hergestellt werden.
Beide Proteine sind am Notch-Signalweg
beteiligt, einem weit verbreiteten Mechanismus, über den Zellen auf
äußere Reize reagieren und miteinander kommunizieren. Benannt ist der
Signalweg nach seinem Rezeptor „Notch“, an den der Ligand „Delta“, ein
Oberflächeneiweiß einer anderen Zelle, andockt.
Der entscheidende Dritte im Bunde ist das Protein Delta-like1
„In
unserer aktuellen Studie haben wir nun den eindeutigen Nachweis
erbracht, dass es sich bei der Oszillation im Muskelgewebe nicht nur um
irgendein seltsames Phänomen der daran beteiligten Zellen handelt,
sondern dass diese rhythmischen Schwankungen der Genexpression wirklich
entscheidend dafür sind, dass die Verwandlung der Stammzellen in
Muskelzellen kontrolliert und nur begrenzt erfolgt“, sagt Birchmeier.
Gemeinsam
mit Forschenden aus Japan und Frankreich haben Birchmeier und vier
weitere Wissenschaftler*innen am MDC zudem die Rolle eines
entscheidenden dritten Proteins entschlüsselt, das zusammen mit Hes1 und
MyoD ein dynamisches Netzwerk in den Zellen bildet. Wie das Team in der
Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichtet, handelt es sich
dabei um den Notch-Liganden Delta-like1, kurz Dll1. „Er wird in
aktivierten Muskelstammzellen periodisch schwankend mit einer
Oszillationszeit von zwei bis drei Stunden hergestellt“, erläutert
Birchmeier: Immer wenn ein Teil der Stammzellen vermehrt Dll1
exprimiere, sei die Menge in den anderen Zellen entsprechend geringer.
„Diese rhythmische Signalgebung entscheidet darüber, ob eine Stammzelle
eine neue Stammzelle bildet oder sich zu einer Muskelzelle entwickelt.“
Das Hes1-Protein gibt den Takt in den Stammzellen vor
Die
Beteiligung der Proteine Hes1 und MyoD am Muskelwachstum haben
Birchmeier und ihr Team in ihren Experimenten mit isolierten
Stammzellen, einzelnen Muskelfasern und Mäusen weiter untersucht.
„Vereinfacht lässt sich sagen, dass Hes1 als Schrittmacher der
Oszillation fungiert, während MyoD die Dll1-Expression erhöht“, sagt Dr.
Ines Lahmann aus der Arbeitsgruppe von Birchmeier, die neben Yao Zhang
aus demselben Team Erstautorin der Studie ist. „Beides haben nicht nur
unsere experimentellen Analysen, sondern auch die mathematischen Modelle
gezeigt, die Professorin Jana Wolf und Dr. Katharina Baum am MDC
erstellt haben“, ergänzt Birchmeier.
Den entscheidenden Beleg lieferten Experimente mit mutierten Mäusen
Den
wichtigsten Beweis, dass die Oszillation von Dll1 für die kontrollierte
Verwandlung von Stamm- in Muskelzellen wirklich entscheidend ist, haben
die Forscher*innen mithilfe genveränderter Mäuse erbracht. „Eine
bestimmte Mutation im Dll1-Gen bewirkt bei diesen Tieren, dass die
Produktion des Proteins mit einer zeitlichen Verzögerung von wenigen
Minuten erfolgt“, erklärt Birchmeier. „Dies stört die oszillatorische
Herstellung von Dll1 in Zellverbänden, verändert aber nicht die
Gesamtmenge des Liganden.“
„Dennoch hat die Mutation
schwerwiegende Auswirkungen auf die Stammzellen, die sich dadurch
vorzeitig in Muskelzellen und -fasern verwandeln“, berichtet Zhang, der
einen Großteil der Experimente vorgenommen hat. Die Stammzellen seien
somit sehr schnell aufgebraucht gewesen. Das habe unter anderem zur
Folge gehabt, dass ein verletzter Muskel in den Hinterbeinen der Mäuse
nur unzureichend regenerierte und kleiner blieb, als er es vor der
Verletzung gewesen war. „Ganz offenbar schafft es diese minimale
genetische Veränderung, die erfolgreiche Kommunikation – in Form der
Oszillation – zwischen den Stammzellen zu stören“, sagt Zhang.
Das Wissen soll helfen, Muskelerkrankungen besser zu therapieren
„Nur
wenn Dll1 oszillierend an den Notch-Rezeptor bindet und damit die
Signalkaskade in den Stammzellen periodisch in Gang setzt, besteht
zwischen der Selbsterneuerung und der Differenzierung der Zellen
offenbar ein gutes Gleichgewicht“, lautet das Fazit von Birchmeier. Das
bessere Verständnis für die Regeneration und das Wachstum von Muskeln
könne eines Tages dazu beitragen, so die Hoffnung der MDC-Forscherin,
Muskelverletzungen und -erkrankungen effektiver als bisher zu behandeln.
Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (03/2021)
Publikation: Yao
Zhang et al: “Oscillations of Delta-like1 regulate the balance between
differentiation and maintenance of muscle stem cells“, in Nature
Communications, DOI: 10.1038/s41467-021-21631-4