Alles Leben beginnt mit einer Zelle. Während der Entwicklung eines Organismus teilen sich die Zellen und spezialisieren sich, doch jeder Zellkern enthält das gleiche Erbmaterial. Unsere DNA ist so dicht zusammengepackt, dass sie in den Kern jeder Zelle passt. Aus unserer genetischen Bibliothek werden Produkte wie RNA und Proteine hergestellt, die als molekulare Maschinen und Strukturkomponenten für viele Prozesse in unseren Zellen benötigt werden. Der erste Schritt zu diesen Produkten ist ein Prozess, der Transkription genannt wird, bei dem die Anweisungen in unserer DNA verwendet werden, um ein funktionales Produkt herzustellen.
Bislang war nicht klar, wie die Bereiche im Zellkern entstehen, in
denen Transkription stattfinden kann. Das internationale Forscherteam
des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik
(MPI-CBG), des Max-Planck-Instituts für die Physik komplexer Systeme
(MPI-PKS) und des Zentrums für Systembiologie (CSBD), alle in Dresden
gelegen, zusammen mit dem Tokyo Institute of Technology in Japan, unter
der Leitung von Nadine Vastenhouw und Vasily Zaburdaev fanden nun
heraus, wie sich das genetische Material in aktive und inaktive Taschen
innerhalb des Zellkerns organisiert, wie diese Taschen für die
Transkription entstehen und wie dieses Muster durch ein physikalisches
Modell erklärt werden kann.
In Eukaryoten ist das in der DNA
gespeicherte genetische Material im Inneren von Zellkernen verpackt. In
einem Prozess, der Transkription genannt wird und ebenfalls im Zellkern
stattfindet, werden Teile der DNA kopiert und in RNA oder ein Transkript
umgeschrieben, das die für den Aufbau eines Proteins benötigten
Informationen enthält. Die Transkription ist ein grundlegender
zellulärer Prozess der Genexpression und unterliegt einer genauen
Kontrolle, um funktionelle Produkte am richtigen Ort und zur richtigen
Zeit für die richtige Zellfunktion und Entwicklung eines Organismus
herzustellen. Es ist seit langem bekannt, dass es im Zellkern definierte
Bereiche mit transkriptionell aktiver und inaktiver DNA gibt.
Allerdings war bisher unklar, wie das genetische Material, die DNA, in
aktive und inaktive Bereiche sortiert wird und wie diese Bereiche
entstehen.
Ein internationales Forscherteam aus dem MPI-CBG, dem
MPI-PKS, dem CSBD und dem Tokyo Institute of Technology in Japan hat
diese ungelöste Frage gemeinsam untersucht und ihre Ergebnisse in der
Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Sie wählten einen
interdisziplinären Ansatz und kombinierten modernste hochauflösende
optische Mikroskopie mit theoretischen Modellen. Die ermöglichte es den
Forschern, tief in den Zellkern des Zebrafisches zu blicken und die DNA
und RNA-Transkripte während des Transkriptionsprozesses in Zeit und Raum
zu beobachten. Sie sahen, dass die DNA, die zunächst gleichmäßig im
Zellkern verteilt ist, ein fein strukturiertes Muster im Zellkern
aufbaut, sobald die RNA-Transkripte in Erscheinung treten. Nadine
Vastenhouw, die die Studie leitete, erklärt: “Wenn die Zelle von einem
Zustand ohne Transkription in einen aktiven Zustand übergeht, sahen wir
deutlich Bereiche mit stark verdichteter DNA. Wir konnten aber auch
beobachten, dass es Taschen gab, die fast keine DNA enthalten und
stattdessen mit durch Transkription mit RNA gefüllt wurden. Dieses
Muster zeigt, dass die durch die Transkription gebildete RNA die DNA in
einer “aktiven” Tasche organisieren kann, aus welcher die inaktive DNA
herausgedrängt wird.“ Der Transkriptionsprozess verhinderte jedoch
gleichzeitig die vollständige Trennung dieser Taschen. Co-Betreuer
Vasily Zaburdaev, der jetzt an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg und dem Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin
tätig ist, ergänzt: “Für uns sah es so aus, als wollten sich DNA und RNA
aus dem Weg gehen, so wie sich Wasser und Öl nicht gerne vermischen.
Dabei sind die beiden Phasen durch die aktive DNA verbunden. Genauso wie
Seife, die einem Gemisch aus Öl und Wasser zugesetzt wird, zur Bildung
vieler kleiner Bläschen führt, die man als Emulsion bezeichnet.“
Der
Erstautor der Studie, Lennart Hilbert, war Postdoktorand in der Gruppe
von Nadine Vastenhouw (MPI-CBG) und Vasily Zaburdaev (MPI-PKS) und
forscht nun am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er erklärt:
“In unserer Arbeit konnten wir jetzt, in der Sprache der theoretischen
Physik, die in der Zellbiologie seit Jahrzehnten bekannte Auftrennung
aktiver von inaktiven Genen erklären. Die auf Zusammenarbeit
ausgerichtete Umgebung an den Dresdner Instituten war hier entscheidend,
da sie uns erlaubte äußerst fortschrittliche Mikroskopie in
Zebrafischembryonen mit biophysikalischen Modellsimulationen zu
verbinden.“
Nadine Vastenhouw, die jetzt an der Universität
Lausanne in der Schweiz arbeitet, gibt einen Ausblick: „Die
Transkription ist ein fundamentaler Prozess in der Biologie. Um
sicherzustellen, dass unser Genom richtig abgelesen wird und die
richtigen Endprodukte entstehen, müssen das Genom und die bei jedem
Schritt benötigte Maschinerie im Zellkern sehr gut organisiert sein.
Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie die DNA
und die Transkriptionsaktivität organisiert sind, damit die richtigen
Produkte hergestellt werden, Zellen das richtige Entwicklungsziel
verfolgen und gemeinsam Gewebe ausbilden, so dass der Organismus sich
normal entwickeln kann.“