Die Enzymfamilie ENDOU kommt überall vor, und doch ist sie unverstanden. Beim Menschen wird sie mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht. Auch RNA-Viren wie SARS-CoV2 enthalten ein Gen, das dem ENDOU entspricht und eine große Rolle bei der Vermehrung des Virus spielt. Bislang wussten Forscherinnen und Forscher allerdings nicht genau, welche Funktion diese Enzyme erfüllen. Eine Arbeitsgruppe um die Molekulargenetikerin Dr. Wenjing Qi von der Universität Freiburg steuert nun einige Antworten zu dieser Frage bei: In einer Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ beschreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neu entdeckte Funktion.
Demnach könnte das Gen ENDU-2 dafür verantwortlich sein, Tumore
im Körper aus der Distanz auszulösen. Außerdem hat das Team eine
widersprüchliche Reaktion beobachtet: Bei Stress kann ENDU-2 sowohl zum
Schutz des Organismus als auch zu dessen Zerstörung beitragen.
Die
Forschenden untersuchten den Fadenwurm C. elegans, der bei solchen
Studien sehr oft zum Einsatz kommt. Mehr als 60 Prozent der Gene ähneln
sich bei Wurm und Mensch, darunter auch eines für ENDOU, dort ENDU-2
genannt. Die gängige Theorie der Tumorentstehung geht davon aus, dass
Zellen erst dann zu Krebszellen werden, wenn sich in ihren Genen Fehler
anreichern. Diese entstehen zum Beispiel durch Strahlen, Chemikalien
oder das Altern. Qi zeigte bereits 2017, dass solche Fehler nicht in den
Krebszellen selbst auftreten müssen, sondern auch woanders im Körper
entstehen können – die Tumoren werden sozusagen ferngezündet. Die
Forschenden vermuteten, dass die geschädigten Zellen dazu Signale
aussenden, die dann die anderen Gewebe umprogrammieren. Das Signal dazu,
ENDU-2, haben sie jetzt entdeckt.
„ENDOU und ENDU-2 werden nicht
nur gezielt von gestressten Zellen ausgeschleust und im Körper
herumgeschickt, sie können auch am Herkunftsort und in den Zielzellen an
die Boten-mRNA von sehr vielen Genen binden“, erläutert Qi. Diese
Boten-mRNAs sind die Arbeitskopien der Gene und werden als Blaupause für
die Produktion aller Proteine und Enzyme gebraucht. Überraschend für
die Forscherin war, dass ENDU-2 bei Stress zwei unterschiedliche
Funktionen ausführen kann: Am Herkunftsort zerschneidet es die mRNA. Das
reduziert den Stoffwechsel und verhindert, dass der sowieso schon
gestresste Organismus fehlerhafte neue Proteine herstellt. Am Zielort
bleibt die mRNA intakt, und ENDU-2 hilft diesen Zellen zu überleben.
Dafür muss es aber genauestens dosiert werden, sonst können daraus
Tumore entstehen.
Eine Schlussfolgerung daraus könnte sein, dass
der Wurm bei großem Stress gezielt die Embryonen, also seinen Nachwuchs,
beschützt. „Auf diese Weise scheint gewährleistet, dass der Organismus
immer dann, wenn die Selbstheilungskräfte nicht für Mutter und Kind
ausreichen, wenigstens für das Überleben der nächsten Generation sorgt“,
mutmaßt Prof. Dr. Ralf Baumeister, der ebenfalls an der Studie
beteiligt war und in dessen Abteilung Qi eine Arbeitsgruppe leitet. Die
Freiburger Forschenden wissen inzwischen, dass der Verlust von ENDU-2
auch Stammzellen umprogrammieren kann – sie verlieren dann innerhalb
weniger Generationen ihre Unsterblichkeit. Im nächsten Schritt will das
Team erforschen, welche Bedingungen ENDU-2 dazu veranlassen, zwischen
Zerstörung und Schutz zu unterscheiden.
Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (02/2021)
Publikation: Qi,
W., von Gromoff, E.D., Xu, F., Zhao, Q, Yang, W., Pfeifer, W., Maier,
W., Long, L., and Baumeister, R. (2021) The secreted endoribonuclease
ENDU-2 from the soma protects germline immortality in C. elegans. Nature
Communications, DOI: 10.1038/s41467-021-21516-6