Was Lithium-Akkus explosiv macht |
Brennende Smartphones oder sogar Elektroautos sind nicht nur Gegenstand etlicher YouTube-Videos. Weltweit gehen Forschende den Auslösern solcher Batteriebrände nach. Dabei handelt es sich oftmals um astartige Auswüchse ("Dendriten"), die beim Aufladen der Akkus entstehen. Bisher war allerdings nicht bekannt, warum Metalle wie Lithium Dendriten bilden, Silber oder Kupfer hingegen nicht. Nun haben die Chemiker Prof. Wolfgang Schmickler und Dr. Elizabeth Santos von der Universität Ulm ein Modell auf atomarer Ebene entwickelt, das erklärt, wie und warum Dendriten entstehen.
Lithiumbasierte Batterien sind extrem leistungsfähig – und
womöglich hochexplosiv! Beim wiederholten Aufladen eines solchen Akkus
bilden sich eventuell so genannte Dendriten, die einen Kurzschluss
auslösen können: die Batterie geht in Flammen auf. Jetzt haben Chemiker
der Universität Ulm ein Modell entwickelt, das erklärt, wie und warum
bestimmte Metalle bei der Abscheidung Dendriten bilden. Dieser für die
Batterieforschung bedeutende wissenschaftliche Beitrag ist als „Hot
paper“ in der renommierten Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“
erschienen.
Um die Energiewende zu meistern und die
Elektromobilität voranzubringen, braucht die Welt neue,
hochleistungsfähige Batterien. Bisher treiben vor allem
Lithium-Ionen-Akkus Smartphones, Laptops oder Elektroautos an. Doch
gerade für die Anforderungen der Elektromobilität ist die
Leistungsfähigkeit dieser Batterien begrenzt. Das Problem: Um
Kurzschlüsse zu vermeiden, sind Lithium-Ionen in Graphit eingelagert,
was das Volumen und Gewicht der Akkus erhöht – und die Reichweite
entsprechend sinken lässt. Batterien mit einer reinen Lithium-Elektrode
hätten zwar eine deutlich höhere Energiedichte, neigen jedoch zur
Dendritenbildung. Diese astartigen Auswüchse entstehen allmählich beim
Aufladen der Batterie an der negativen Elektrode. Wenn sie die
Gegenelektrode erreichen, können diese Dendriten im Zusammenspiel mit
entflammbaren Elektrolyten einen Kurzschluss verursachen – die Batterie
brennt ab. Mit diesem Phänomen beschäftigen sich nicht nur
YouTube-Videos, sondern Forschende weltweit. Bisher ist allerdings noch
nicht verstanden, warum Metalle wie Lithium Dendriten bilden, Kupfer
oder beispielsweise Silber jedoch nicht. Weitere Materialien formieren
die gefährlichen Kristallstrukturen erst bei sehr großer Spannung. Doch
jetzt haben Professor Wolfgang Schmickler und Dr. Elizabeth Santos vom
Institut für Theoretische Chemie der Universität Ulm ein Modell
entwickelt, das die Entstehung der astartigen Dendriten erklärt.
Auf
dem Ulmer Supercomputer JUSTUS 2 haben die Forschenden quantenchemische
Berechnungen mithilfe einer Weiterentwicklung der Density-functional
theory (DFBT+) durchgeführt. Ihre Ergebnisse legen folgendes Szenario
für die Dendritenbildung nahe: Jedes Metall verfügt über einen so
genannten Ladungsnullpunkt. Wird das Metall bei Potentialen unterhalb
dieses Ladungsnullpunkts – also bei einer negativ geladenen Elektrode –
abgeschieden, entstehen die kristallartigen Dendriten. „Bei der
Abscheidung bilden sich immer wieder kleine Unebenheiten wie Vorsprünge
auf der Oberfläche. Den Gesetzen der Elektrostatik folgend, konzentriert
sich die negative Ladung auf den Spitzen solcher Cluster und zieht die
positiv geladenen Lithium-Ionen an. Somit wachsen diese Spitzen weiter
und bilden schließlich Dendriten“, erklärt Professor Schmickler. Darüber
hinaus konnten die Forschenden ein weiteres Phänomen nachweisen, das
zur Dendritenbildung beiträgt: Die negative Ladung verkleinert die
Oberflächenspannung und fördert damit die Entstehung von Vorsprüngen auf
der Oberfläche. Santos und Schmickler vergleichen diesen Vorgang mit
Spülmittel, das die Bildung von Blasen im Wasser erleichtert.
Diese
Erkenntnisse sind kompatibel mit bisherigen Forschungsergebnissen.
Allerdings haben Schmickler und Santos mit ihren Berechnungen erstmals
ein Modell auf atomarer Ebene entwickelt. Dieses lässt sich auf andere
Metalle übertragen und erklärt gleichzeitig, warum beispielsweise Kupfer
keineswegs anfällig für Dendriten ist. „Bei Metallen wie Kupfer oder
Silber ist die Oberfläche bei der Abscheidung positiv geladen. Bildet
sich dort ein kleiner Vorsprung auf der Oberfläche, sammelt sich eine
positive Ladung an. Diese stößt die positiv geladenen Metall-Ionen ab,
das Cluster kann nicht weiter wachsen und Dendriten bilden“, erläutert
Dr. Elizabeth Santos.
Welche praktische Relevanz haben diese
Forschungsergebnisse für die Entwicklung hochleistungsfähiger Batterien?
Mit ihrem neuen Modell können die Chemiker zeigen, warum einige
relevante Materialien Dendriten bilden und andere nicht. Darüber hinaus
liefern sie eine Erklärung für die Entstehung der Kristallstrukturen auf
atomarer Ebene. „Im Prinzip sagt unser Modell voraus, wie sich die
Bildung von Dendriten in aufladbaren Batterien vermeiden lässt. Hierfür
wäre allerdings ein Lösungsmittel erforderlich, das widersprüchliche
Anforderungen erfüllt. Daher haben unsere Ergebnisse zunächst vor allem
theoretische Relevanz“, betonen die Autoren. Bei ihrer
wissenschaftlichen Arbeit wurden Santos und Schmickler von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) und CONICET unterstützt, dem nationalen
Rat für wissenschaftliche und technologische Forschung in Argentinien.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-ulm.de/home/uni-aktuell/article/was-lithium-akkus-explosiv-machtneues-modell-erklaert-dendritenwachstum-in-batterien/
Quelle: Universität Ulm (02/2021)
Publikation: Elizabeth
Santos, Wolfgang Schmickler: The Crucial Role of Local Excess Charges
in Dendrite Growth on Lithium Electrodes. Angewandte Chemie. https://doi.org/10.1002/anie.202017124 |