Zellen sprechen sich bei ihrer Entwicklung ab |
Während der Entwicklung eines Organismus müssen sich die Zellen in einem definierten Zeitplan spezialisieren und bestimmte Funktionen ausbilden: So entsteht aus einem Haufen Zellen strukturiertes Gewebe. Die Forschungsgruppe von Aneta Koseska (ehem. Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie (MPI), caesar Bonn) hat am MPI nun ein neues theoretisches Konzept entwickelt, das zeigt, wie sich Zellen durch ihre Kommunikation untereinander abstimmen, um sich in den richtigen Anteilen zu spezialisieren und so neue Strukturen zu bilden.
Stammzellen sind die Alleskönner unter den Zellen im Körper. Sie
können sich zu verschiedenen Zelltypen, wie Hautzellen, Nervenzellen
oder Knochenzellen, spezialisieren. So entstehen während der frühen
embryonalen Entwicklung aus einem ungeordneten Haufen von Stammzellen
geordnete Körperstrukturen mit lebenswichtigen Aufgaben. Die Information
zur Spezialisierung ist in der Erbinformation der Stammzellen
gespeichert. Ein Bauplan für die Ausbildung von Körperstrukturen
enthalten die Stammzellen aber nicht. Dabei muss zur richtigen Zeit und
mit hoher Präzision die Ausbildung verschiedener Gewebe koordiniert
werden. Wie genau dieser komplexe Prozess koordiniert wird, ist immer
noch unklar.
Zellen handeln in einer Gemeinschaft
Bisher
ist man davon ausgegangen, das die Koordination dieser Prozesse
vornehmlich auf dem Level einzelner, unabhängig voneinander handelnder
Zellen erfolgt. Diese erhalten ein Signal aus ihrer Umwelt, das die
Herstellung von genetischen Markern auslöst. So bilden sich in jeder
Zelle bestimmte Genmuster, die dazu führen, dass sich die Stammzellen zu
einer Zelle mit einer bestimmten Funktion entwickeln. In diesem Rahmen
ist es jedoch schwer zu beschreiben, wie bestimmte Anteile verschiedener
Zelltypen erzeugt werden, und wie der Zeitpunkt der Spezialisierung
bestimmt wird.
Die Gruppe um Aneta Koseska hat nun ein vollkommen
neues theoretisches Konzept zur Beschreibung der zellulären Entwicklung
aufgestellt, basierend auf Mechanismen der Zellkommunikation. Mit
dieser veränderten Sichtweise können die Wissenschaftler beschreiben,
wie z. B. das richtige Timing bei der Entwicklung zu einem Gewebe
garantiert werden kann, und wie die Entwicklung trotz Störungen robust
und präzise abläuft. Die Wissenschaftler vermuten, dass so das Wachstum
der Zellgemeinschaft das Schicksal einzelner Zellen steuert.
Theoretische Konzepte haben eine erfolgreiche Geschichte in der Biologie
Die
Basis für die Entwicklung solcher Konzepte bilden mathematische
Modellierungen. Dabei wird versucht, die wesentlichen Mechanismen und
Größen eines biologischen Prozesses in Modellen zu erfassen. Mit Hilfe
dieser künstlichen Laboratorien kann das komplexe Geschehen in der Zelle
berechenbar gemacht werden. Es lassen sich Voraussagen treffen, die
experimentell getestet werden können. „Eine solche Forschung scheint
sehr abstrakt, doch theoretische Konzepte haben in der Biologie eine
lange und erfolgreiche Geschichte“ erklärt Aneta Koseska. Eines der
bekanntesten Beispiel ist Darwins Evolutionstheorie, die später von
anderen Wissenschaftlern mit mathematischen Modellen beschrieben wurde.
Eine Theorie gibt uns eine Möglichkeit zu verstehen: "Wie funktioniert
ein biologischer Prozess, was ist der Mechanismus dahinter?" Das
Zusammenspiel von Theorie und Experimenten ermöglicht die Aufklärung
besonders komplexer Phänomene.
Zell-Zell Kommunikation als allgemein gültiger Prozess
Die
Kommunikation zwischen Zellen spielt auch bei weiteren wichtigen
Prozessen wie der Wundheilung eine entscheidene Rolle. Denn auch hier
müssen Zellen dynamisch auf ihre Umgebung reagieren. „Mit unserem neu
entwickelten Konzept wollen wir dies in Zukunft sowohl theoretisch als
auch experimentell im Detail untersuchen“, sagt Aneta Koseska.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpi-dortmund.mpg.de/aktuelles/zellen-sprechen-sich-ab
Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie (02/2021)
Publikation: Stanoev
A, Schröter C, Koseska A (2021). Robustness and timing of cellular
differentiation through population-based symmetry breaking. Development.
doi: 10.1242/dev.197608. https://dev.biologists.org/content/148/3/dev197608.long |