Alchemie für Aromaten - Neue Lösungen zur Fluor-Chemie |
Zwei neue Katalysatoren für die Aromaten-Veredelung mittels Fluorverbindungen sowie ein neuer Fluorbaustein zählen zu den Resultaten des Rostocker Leibniz-Instituts für Katalyse (LIKAT) im zurückliegenden Jahr. Fluor gilt in Labors weltweit als angesagtes Element, wenn es darum geht, die Wirkung von Substanzen zu erhöhen. So ließe sich z.B. die Dosis von Medikamenten – und ebenso ihre Nebenwirkungen – senken und der Einsatz von Agrochemikalien reduzieren. Es sei allerdings auch ein „schwieriges Element“, sagt Dr. Helfried Neumann vom LIKAT, dessen Team nun der Fluor-Chemie neue Impulse gab.
Laien mag es wie Hexerei anmuten, für Chemiker zählt es zum
Laboralltag: Der Austausch eines einzigen Atoms im Molekül kann die
Eigenschaften einer Substanz entscheidend beeinflussen. Wenn man ein
Wasserstoffatom in der Synthese z.B. eines Medikaments durch Fluor
ersetzt, vermag der Organismus die Arznei schneller bzw. umfassender als
üblich aufzunehmen.
Chemiker bezeichnen diesen Austausch als
Substitution. Sie benötigen dafür Katalysatoren, um die Ausgangsstoffe
zu aktivieren. Die beiden neuen Katalysatoren und das Reagenz für die
Fluor-Chemie wurden von einer Gruppe Postdocs und Doktoranden unter der
Leitung von Dr. Helfried Neumann entwickelt. Sie funktionieren, wie Dr.
Neumann erläutert, für eine komplette Klasse sogenannter Aromaten, die
in fast jedem Arzneimittel vorkommen.
Mehr Wirkung von Allerweltchemikalien
Aromaten
sind ringförmige Kohlenwasserstoffe. Berühmtester Vertreter ist der
Benzolring, vermutlich auch weniger interessierten Laien noch aus dem
Chemie-Unterricht bekannt. Schon seiner Entdeckungsgeschichte wegen: die
Ringstruktur des Benzols war August Kekulé (1829–1896) sozusagen im
Traum erschienen. Durch funktionelle Gruppen werden diesen Ringen
verschiedene Eigenschaften verliehen. Zum Beispiel befinden sich in der
fünfgliedrigen aromatischen Pyrazolverbindung zwei Stickstoffatome und
drei CH-Gruppen, bestehend aus jeweils einem Kohlenstoffatom (C) und
einem Wasserstoffatom (H). Um nun Pyrazolverbindungen mit innovativen
Eigenschaften zu versehen, ersetzen die LIKAT-Chemiker im Molekül
katalytisch jeweils ein H durch ein Fluoratom (F) oder einen fluorierten
Kohlenwasserstoff.
Helfried Neumann: „Fluor hat einen ähnlichen
Atomradius wie Wasserstoff, ordnet sich also gut in die molekulare
Geometrie ein. Nach der Substitution ist das Molekül bedeutend
fettlöslicher als vorher.“ Je nachdem, wie viele CH-Gruppen im Molekül
durch CF-Gruppen ersetzt werden, lassen sich die neuen Eigenschaften
variieren. Ersetzt man zum Beispiel in einem medizinischen Wirkstoff
das Pyrazol durch fluoriertes Pyrazol, kann die Arznei leichter
Zellmembranen durchdringen und zielgerichteter an ihren Wirkungsort
gelangen. Ein solcher Effekt der Substitution mit Fluor ist auch für
Dünger und andere Agrochemikalien vorstellbar. Bei ihren Forschungen
kooperierte Dr. Neumanns Gruppe mit der Schweizer Firma Lonza, einem
Chemie-Zulieferer. Neben wissenschaftlichen Publikationen, erschienen in
den renommierten Fachmagazinen NATURE CHEMISTRY, CHEMICAL COMMUNIKATION
und CATALYSIS SCIENCE & TECHNOLOGY, sind auch Patente angemeldet
worden.
FCKW: unbedenklich im Labor
Die
Fluor-Chemie zählt derzeit zu den begehrtesten Forschungsfeldern. Fluor
ist das Element mit der größten Elektronegativität, d.h. es kann
besonders gut Elektronen zu sich ziehen und verbindet sich daher leicht
mit anderen Elementen. Die bekanntesten Fluorverbindungen sind
Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW), die früher als Treibgase
verwendet wurden. Doch sie gefährdeten lange Zeit die Atmosphäre, weil
sie die Ozonschicht angriffen. Diese erholt sich langsam wieder, seit
die FCKW aus Kühlmitteln, Spray u.a. Alltagssubstanzen verbannt wurden.
Im Labor ist der Umgang mit FCKW unbedenklich, wie Dr. Neumann betont,
da sie in katalytischen Verfahren als Ausgangsstoffe dienen und chemisch
gebunden werden.
Für die Herstellung der ersten der beiden neuen
Katalysatoren wird ein Kobaltsalz, gebunden an ein stickstoffhaltiges
Kohlenstoffgerüst, auf ein Material aufgebracht, das als Träger
fungiert. Das Ganze wird pyrolysiert, erläutert Helfried Neumann: bei
800 Grad Celsius durchläuft der Kobaltkomplex einen „unglaublich
komplizierten Umgestaltungsprozess“. Diese extremen Vorgänge entziehen
sich meist einer Beobachtung, weshalb sie stets auch „ein wenig
alchemistisch“ anmuten, wie Dr. Neumann sagt. Am Ende bildet Kobalt
zusammen mit Substrat und Träger sehr aktive Zentren, die FCKW
aktivieren können und wie gewünscht mit den CH-Gruppen von Pyrazolen
reagieren.
Schwierige Trennung gelöst
Sowohl der
nicht umgesetzte Ausgangsstoff, der zugleich auch Lösungsmittel ist, als
auch das fluorierte Produkt liegen gewöhnlich in flüssiger Form vor,
und zwar in ein und demselben Gefäß. Die Substanzen müssen also sauber
getrennt werden: das fluorierte Pyrazol vom Pyrazol ohne Fluor. Dr.
Neumann: „Das erweist sich als problematisch, weil sich Fluor und
Wasserstoff atomar so ähnlich und die beiden Substanzen deshalb oft nur
schwer zu unterscheiden sind.“
Bei der Trennung hilft
üblicherweise Säulenchromatographie mit bestimmten
Lösungsmittel-mischungen. Aber bei Verwendung von hochmolekularen
Fluorbausteinen erhöht sich das Molekulargewicht des Produktes und die
Trennung gelingt durch Verdampfen des übriggebliebenen Pyrazols. Das
Produkt bleibt dann als Feststoff zurück.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.snsb.de/index.php/de/aktuelles/999-pfeilschwanzkrebs
Quelle: Leibniz-Institut für Katalyse (02/2021)
Publikation: https://doi.org/10.1038/s41467-020-19110-3 https://doi.org/10.1039/C9CY02460C |