Chloroplasten auf Wanderschaft |
Das Erbgut liegt gut geschützt im Zellkern einer jeden Zelle und speichert sämtliche Informationen, die einen Organismus ausmachen. So ist z.B. die Information über die Größe oder Blütenarbe vordefiniert. Darüber hinaus enthalten Zellen kleine Organellen, wie Chloroplasten und Mitochondrien, die ebenfalls ein eigenes Erbgut besitzen. Aber ist das Erbgut tatsächlich fest innerhalb einer Zelle gespeichert? Nein! Wie man heute weiß, kann das Erbgut von Zelle zu Zelle wandern und sogar zwischen verschiedenen Organismen ausgetauscht werden. Forscher des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie konnten mit Hilfe neuer Ansätze erstmals zeigen, wie das Erbgut auf Wanderschaft geht.
Ein Transfer des Erbguts kommt in Pflanzen durchaus häufig vor.
Hierbei kann es entweder zu einer Neukombination des Erbguts kommen,
alternativ kann die Empfängerzelle aber auch beide Erbgutvarianten
etablieren. Diese Vereinigung zweier verschiedener Genome,
Allopolyploidie genannt, ist evolutionär sehr interessant, da sie zur
Bildung neuer Pflanzenarten führt und bei vielen Pflanzengruppen weit
verbreitet ist. Viele wichtige Kulturpflanzen, wie Brot- und Hartweizen,
Hafer, Baumwolle, Raps, Kaffee und Tabak besitzen solch ein
kombiniertes Erbgut aus mindestens zwei miteinander gekreuzten Arten.
Um
die Mechanismen der Genomwanderung von Zelle zu Zelle zu verstehen
haben die Forscher um Ralph Bock vom MPI-MP Versuche mit Tabakpflanzen
durchgeführt und die in der Landwirtschaft häufig angewandte Pfropfung
genutzt. Hier wurden zwei verschiedene Tabakpflanzen aufeinander
gepfropft und die Zellen der Verbindungsstelle mikroskopisch in Echtzeit
beobachtet. Um das Genom zwischen Zellkern und Plastiden unterscheiden
zu können, wurden beide mit einem Farbstoff versehen. Genome farblich
direkt zu markieren ist allerdings gar nicht so einfach, so dass sich
die Forscher hier eines Tricks bedienen, der eine Spezialisierung der
Chloroplasten nutzt. In den Plastiden wird durch Transformation ein Gen
integriert, dass ein chloroplasten-spezifisches Fluoroeszenzprotein
codiert, welches ausschließlich in Plastiden produziert wird und diese
auch nicht verlassen kann. Somit entsteht eine absolut spezifische und
stabile Markierung für die Plastiden, die nun von innen heraus
fluoreszieren.
An der Verbindungsstelle der Pfropfung kommt es
nach kurzer Zeit zu einer Verwachsung der beiden Partner, so dass es zu
einer physiologischen Verbindung zwischen den beiden Pflanzen kommt.
„Wir konnten beobachten, dass in beide Richtungen ein Genomtransfer von
Zelle zu Zelle stattfindet und zwar nicht nur selten, sondern mit hoher
Frequenz“, erklärt Dr. Alexander Hertle, Erstautor der Studie.
Mit
Hilfe eines neuen experimentellen Versuchaufbaus konnten die Forscher
strukturelle Veränderungen der Zellwände im Wundgewebe der
Pfropfungsstelle beobachten. „Die Zellwände bildeten Ausstülpungen und
schufen somit Verbindungsstellen zwischen den beiden Partnern. Die
entstandene Porengröße ist so groß, dass tatsächlich ganze Plastiden
darüber hinweg wandern können. Das Genom wandert also nicht frei,
sondern eingekapselt von Zelle zu Zelle“, beschreibt Hertle weiter. Um
dies aber tatsächlich zu ermöglichen, müssen sich die Plastiden
verkleinern und eine mobile Form annehmen. Diese stäbchenförmigen
Plastiden gleichen einer Amöbe und wachsen nach ihrer Wanderung im
Zielgewebe wieder auf Normalgröße an.
Damit haben die Forscher
einen neuen Weg für einen interzellularen Austausch sehr großer
Zellstrukturen aufgedeckt, der eventuell auch von parasitischen
Pflanzen, wie der Mistel, genutzt wird, um einen Genaustausch mit ihrem
Wirt durchzuführen. Darüber hinaus ist nun zu klären, ob auch
Mitochondrien und das Kerngenom ähnliche Transfermechanismen nutzen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.mpimp-golm.mpg.de/2584968/news_publication_16233296_transferred?c=4084
Quelle: Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (01/2021)
Publikation: Alexander P. Hertle, Benedikt Haberl, Ralph Bock Horizontal genome transfer by cell-to-cell travel of whole organelles Science Advances, 01.01.2021, doi: 10.1126/sciadv.abd8215 |