SARS-CoV-2: Bioinformatiker entdecken eine neue Schwachstelle des Virus |
Die Suche nach wirksamen antiviralen Mitteln gegen das neue Coronavirus läuft auf Hochtouren. Mit einem neuartigen Ansatz haben Tübinger Bioinformatiker nun eine Schwachstelle des Virus entdeckt, die für die Wirkstoffentwicklung genutzt werden könnte. In einem Computermodell identifizierte der DZIF-Wissenschaftler Andreas Dräger und sein Team ein menschliches Enzym, das für das Virus entscheidend ist. Wurde es im Modell ausgeschaltet, konnte sich das Virus nicht mehr vermehren.
„Wenn wir das Enzym – die Guanylatkinase 1 – ausschalteten,
wurde die Virusvermehrung gestoppt, ohne die Wirtszelle zu
beeinträchtigen“, bringt Dr. Andreas Dräger das Ergebnis auf den Punkt.
Mit einer Juniorprofessur des DZIF an der Uni Tübingen betreibt Dräger
rechnerbasierte Systembiologie und ist mit seinem Team bereits im Januar
in die Coronaforschung eingestiegen. Für ihren Ansatz entwickelten die
Bioinformatiker ein integriertes Computermodell mit dem neuartigen
Coronavirus SARS-CoV-2 und menschlichen Alveolarmakrophagen. Letztere
sind in den Lungenbläschen für die Abwehr von Fremdstoffen zuständig.
„Für diese Makrophagen existierte bereits ein komplexes Computermodell,
das wir für diesen Zweck weiterentwickeln konnten“, so Dräger.
Ganz ohne Zellen und Versuchstiere
Die
Ausgangssituation im Modell war, dass das Virus in den Wirt, hier die
menschliche Alveolarmakrophage, eingedrungen ist und diese bereits
umprogrammiert hat. „Biochemische Reaktionen, die das Virus im Wirt
verwendet, sind also bereits in das Modell integriert“, so Dräger. Das
Modell geht nun davon aus, dass das Virus neue Viruspartikel herstellen
und sich ausbreiten will. Dazu nutzt es Materialien aus dem Wirt und
zwingt die Wirtszellen zur Produktion neuer Virusbestandteile. „Wir
haben zunächst die Zusammensetzung des Virus analysiert und daraus
berechnet, welches Material benötigt wird, um ein Viruspartikel
herzustellen“, beschreibt der Bioinformatiker das Vorgehen. Und er fügt
hinzu: „Wenn man das weiß, kann man verschiedene Szenarien durchspielen
und sehen, wie sich die biochemischen Reaktionen in den Wirtszellen
während einer Virusinfektion verändern.“
Das Enzym Guanylatkinase als möglicher Angriffspunkt antiviraler Wirkstoffe
In
sog. Flussbilanzanalysen haben die Tübinger Wissenschaftler daraufhin
systematisch getestet, welche biochemischen Reaktionen in infizierten
Zellen anders ablaufen als in nicht-infizierten Zellen. Bei diesen
Reaktionen konnten sie in ihren weiteren Versuchen ansetzen. Indem sie
die ausgewählten Reaktionen gezielt ausschalteten, kamen sie den
Prozessen auf die Spur, die für das Virus besonders wichtig sind. So die
Guanylatkinase (GK1), die beim Ausschalten die Vermehrung des Virus
komplett stoppte.
GK1 ist auch bei anderen Viruserkrankungen von
Bedeutung. Das Enzym, das in den Alveolarmakrophagen vorkommt, spielt
eine wichtige Rolle im Metabolismus der Bausteine von Ribonukleinsäuren
(RNA) und ist damit auch maßgeblich am Aufbau viraler RNA, wie der von
SARS-CoV-2 beteiligt. „Während die Virusvermehrung ohne GK1 nicht mehr
stattfindet, kann die menschliche Zelle auf andere biochemische
Stoffwechselwege ausweichen“, erklärt Dräger. Das aber ist eine wichtige
Voraussetzung, wenn man das Enzym mit einem Wirkstoff hemmen wollte,
ohne nachteilige Nebenwirkungen beim Menschen auszulösen. Es sind
bereits einige Hemmstoffe des Enzyms bekannt und die Bioinformatiker
planen nun, möglichst bald mit ihrem Hamburger Kooperationspartner Dr.
Bernhard Ellinger vom Fraunhofer IME ScreeningPort (IME) bereits
zugelassene Hemmstoffe auf ihre Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus
zu testen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.dzif.de/de/sars-cov-2-bioinformatiker-entdecken-eine-neue-schwachstelle-des-virus-0
Quelle: Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (01/2020)
Publikation: Renz
A, Widerspick L und Dräger A: FBA reveals guanylate kinase as a
potential target for antiviral therapies against SARS-CoV-2.
Bioinformatics Dez. 2020. https://doi.org/10.1093/bioinformatics/btaa813 |